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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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endlosen Stunden, in denen er in der engen Zelle, dem Kamin, kauerte. Das Deckengewölbe jagte ihm am meisten Angst ein – immer sah es aus, als würde es sich langsam auf ihn senken. Schon der Gedanke daran trieb ihm den Schweiß auf die Stirn.
    »Zum Glück«, fuhr Stalin fort, »haben wir nur eine Frage an Sie.«
    Pekkala wartete.
    »Zigarette gefällig?«, fragte Stalin. Er zog eine rot-goldene Packung mit der Aufschrift »Markow« aus der Hosentasche.
    Pekkala erkannte sie sofort. Die Marke, die Wassilejew immer geraucht hatte.
    »Der frühere Direktor der Ochrana war so freundlich, uns in seinem Büro einen beträchtlichen Vorrat davon zu hinterlassen«, erklärte Stalin.
    »Wo ist er jetzt?«, fragte Pekkala.
    »Tot«, sagte Stalin nüchtern. »Wissen Sie, was er getan hat? Als er wusste, dass wir ihn verhaften würden, füllte er sein künstliches Bein mit Sprengstoff. Und auf dem Weg ins Gefängnis zündete er im Polizeiauto den Sprengsatz. Die Hinterachse des Lieferwagens landete auf dem Dach eines zweistöckigen Hauses.« Stalin lachte leise. »Sprengstoff in einem Holzbein! Er hatte Humor, das muss man ihm lassen.«
    Stalin hielt ihm die Packung hin und verdrehte dabei das Handgelenk, damit die Zigaretten zu Pekkala zeigten.
    Pekkala schüttelte den Kopf.
    Stalin klappte die Packung zu. »Ich bitte Sie, vergessen Sie in den nächsten Tagen nicht, wie entgegenkommend ich mich Ihnen gegenüber verhalten habe.«
    »Ich werde es nicht vergessen«, sagte Pekkala.
    »Natürlich nicht«, erwiderte Stalin. »Ihr berühmtes Gedächtnis lässt so etwas nicht zu. Deshalb bin ich auch sehr zuversichtlich, dass Sie meine Frage beantworten können.«
    »Was wollen Sie wissen?«, fragte Pekkala.
    »Wo ist der Goldschatz des Zaren?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Pekkala.
    Stalin atmete leise aus, er hatte die Lippen leicht gespitzt wie jemand, der zu pfeifen lernte. »Dann stimmt es wohl doch nicht, was uns zu Ohren gekommen ist.«
    »Was ist Ihnen zu Ohren gekommen?« Mit jeder Minute, die verging, spürte Pekkala mehr und mehr diese seltsame Leichtigkeit, die von der Gewissheit des Todes kündete. Wenn es dann so weit ist und sie mich erledigen, dachte er, wird von mir nicht mehr viel übrig sein, das überhaupt noch Schmerz empfinden kann.
    »Uns wurde gesagt, dass der Zar Ihnen vertraut hat«, sagte Stalin.
    »In manchen Dingen«, erwiderte Pekkala.
    Stalin lächelte verhalten. »Schade«, sagte er.
    Zwei Wochen darauf wurde Pekkala aus seiner Zelle wieder in den Verhörraum gebracht.
    Er konnte nicht mehr allein gehen. Seine Zehenspitzen schleiften über den rauhen Teppichboden, während die beiden Wärter ihn unter den Schultern gefasst hatten und ihn durch den Gang zerrten.
    Im Verhörraum wurde er abgesetzt, und die letzten Schritte zum Stuhl ging er selbst.
    Zitternd wie jemand, der unter hohem Fieber litt, nahm er Platz und musste sich anstrengen, um nicht vom Stuhl zu fallen. Seine Füße waren auf fast ihre doppelte Größe geschwollen, die Zehennägel waren schwarz vom geronnenen Blut im Nagelbett. Er konnte die Hände nicht mehr über die Schultern heben, er konnte nicht mehr durch die Nase atmen. Nahezu jeder Atemzug löste einen Hustenanfall aus, den er mit an die Brust gezogenen Knien über sich ergehen ließ. Dabei wurde ihm schwindlig, und Schmerzen schossen ihm in den Kopf, als würde ihm ein Nagel durch die Schädelplatte getrieben.
    Stalin war bereits da. »Wollen Sie jetzt eine Zigarette?«, fragte er in seiner stets gleichen, fast ängstlich klingenden Stimme.
    Pekkala öffnete den Mund, er wollte etwas sagen, konnte aber nur husten und dann den Kopf schütteln. »Ich weiß nicht, wo das Gold ist«, sagte Pekkala, als er wieder bei Atem war. »Ich sage Ihnen die Wahrheit.«
    »Ja«, erwiderte Stalin. »Davon bin ich mittlerweile überzeugt. Aber jetzt möchte ich von Ihnen Folgendes wissen: Wen hat er mit der Aufgabe betraut, das Gold fortzuschaffen?«
    Pekkala antwortete nicht.
    »Sie antworten nicht«, sagte Stalin.
    Pekkala schwieg. Die Angst kam über ihn wie ein schwarzer Hund, der durch die Gänge seines Verstandes hetzte.
    »Wenn das hier vorbei ist«, sagte Stalin, »und Sie über das, was Ihnen bald widerfahren wird, nachdenken, werden Sie es bedauern, ein vollkommenes Gedächtnis zu haben.«

S päter am Abend saß Pekkala auf dem Boden im vorderen Zimmer, in seinem Schoß lag das
Kalevala.
    Kirow kam mit Feuerholz herein und warf die Scheite in die Glut.
    »Nichts von Anton?«,

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