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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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Kinder hätten sich in jener Nacht in unterschiedliche Richtungen davongemacht. Und trotzdem landeten dann alle schließlich im Bergwerksschacht.«
    Pekkala hob den Kopf. »Alle bis auf einen.«
    »Spielt keine Rolle«, sagte Kirow. »Ich glaube nicht, dass Alexej überlebt hat.«
    »Warum sagen Sie das?«, fragte Pekkala.
    »Angenommen, der Mörder hat ihn freigelassen – wie lange hätte er inmitten der Revolutionswirren überlebt? Als Bluter? Nein, Alexej hatte keine Chance.«
    »Es ist mir völlig schleierhaft, warum Alexej nicht unter den Toten ist«, sagte Pekkala. »Solange er fehlt, werden wir die Suche nach ihm fortsetzen. Aber davon einmal abgesehen, gehe ich mittlerweile davon aus, dass der Zar glaubte, er könnte aus Swerdlowsk fliehen, wenn er Hilfe von außen erhielt. Ich weiß nur nicht, wer ihm dabei hätte helfen sollen und warum er schließlich ums Leben gekommen ist. Vielleicht hat man ihn hintergangen, oder der Befreiungsversuch ist fehlgeschlagen. Vielleicht haben die Tscheka-Wachen die Romanows erschossen, als sie merkten, dass sie angegriffen werden. Vielleicht ist derjenige, der zur Rettung des Zaren kam, in Panik geraten und hat die Leichen in den Bergwerksschacht geworfen, um sie nicht im Ipatjew-Haus zurückzulassen, wo man sie hätte finden können.«
    »In diesem Fall«, sagte Kirow, »mussten die Roten annehmen, dass der Zar und seine Familie noch am Leben wären. Sie würden nach den Romanows fahnden, aber nicht nach dem, der sie befreien wollte.« Kirow wickelte das Taschentuch um den Griff des Topfes und goss das trübe Wasser ab. Eine Dampfwolke stieg auf. Er stellte den Topf auf den Tisch und setzte sich Pekkala gegenüber. »Aber was weiß ich denn? Ich bin ja nur als Beobachter hier.«
    »Kirow«, sagte Pekkala, »irgendwann werden Sie ein hervorragender Polizist sein.«
    »Das würden Sie nicht sagen, wenn Sie wüssten, wie wenig ich herausgefunden habe. Alles, was ich habe, sind ein paar Fotografien.«
    »Fotografien?«, fragte Pekkala.
    »Eine alte Dame hat sie mir gegeben. Sie stammen angeblich aus Katamidses Fotoatelier. Er hat sie ihr geschenkt, kurz bevor er verschwunden ist, und dann hatte sie Angst, wegen der Fotos Schwierigkeiten zu bekommen.«
    »Wo sind sie?«, fragte Pekkala.
    »Vorn. Wir können sie ins Feuer werfen, unser Holzvorrat geht bald zu Ende.«
    Kirow hatte den Satz noch nicht beendet, als Pekkala auch schon aus dem Zimmer war.
    »Meistens nur Landschaftsaufnahmen, nichts Wichtiges«, rief Kirow ins angrenzende Zimmer. »Sie werden den Zaren nirgends darauf finden.«
    Kurz darauf kam Pekkala mit einem Stoß Fotografien zurück. Es waren etwa zwei Dutzend, die Kanten und Ecken waren eingerissen, die Oberfläche gewellt und voller Fingerabdrücke. Größtenteils handelte es sich um Ansichten der Stadt. Die Kirche mit ihrem Zwiebelturm, die Hauptstraße, in der Ferne das Ipatjew-Haus, davor ein geisterhaft verschwommener Pferdekarren. Ein Teich, dahinter, weit entfernt, eine Kirche, und zwischen den Gräsern am gegenüberliegenden Ufer eine Frau mit langem Kleid und Kopftuch, die sich nach vorn beugt, als greife sie nach etwas in den Gräsern. Einige Fotos zeigten Nonnen, Aufnahmen, wie sie auch im Kloster gehangen hatten. Manche sahen aus, als hätte Katamidse sie nachkolorieren wollen, dann aber mitten in der Arbeit abgebrochen.
    »Es müssen die Fotos sein, die die Kunden nicht wollten«, murmelte Pekkala. Er lehnte sich zurück und rieb sich die Augen.
    »Sagte doch, nichts Wichtiges«, entgegnete Kirow.
    Jeder von ihnen spießte sich eine heiße Kartoffel auf und biss vorsichtig hinein.
    Einige Minuten später kam Anton ins Haus getorkelt, sein Atem roch nach eingemachten Roten Beeten und Baikalsee-Sprotten. Diese verschrumpelten Dörrfische, deren dünne Gräten sich unter der harten, durchscheinenden Haut abzeichneten, hingen an Drähten über den Wirtshaustheken, und wollte ein Gast einen, zog er einfach am Fisch und drehte den Körper vom Kopf ab. Wer sich keinen ganzen Fisch leisten konnte, griff sich dann diese Köpfe, die am Draht hängen blieben, und kaute auf den metallisch schmeckenden Knorpeln herum.
    Anton warf einen Notizblock auf den Tisch. »Steht alles da drin«, sagte er.
    Pekkala nahm den Notizblock zur Hand und blätterte ihn durch. »Da steht nichts.«
    »Was du nicht sagst!«, erwiderte Anton.
    »Und das soll dein Beitrag sein?« Pekkala konnte nur mühsam seine Wut im Zaum halten.
    Anton entdeckte die Fotos auf dem Tisch und griff

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