Roter Zar
danach. »Ach, Bilder.«
»Sie haben Katamidse gehört«, erklärte Kirow.
»Sind nackte Frauen dabei?«, fragte Anton.
Kirow schüttelte den Kopf.
»Ich wette, dass Majakowski die hat. Er hat ja auch sonst alles.«
»Ich habe dir gesagt, du sollst das Trinken lassen«, sagte Pekkala.
Anton warf die Fotos auf den Tisch. »Mir gesagt?« Dann ließ er die Faust auf den Tisch krachen. »Du meinst, du hast es mir befohlen! Man hat in einer Schänke nichts verloren, wenn man nicht trinkt. Ich habe meine Arbeit gemacht, wie ich dir gesagt habe, damit du dich auf die faule Haut legen kannst, Inspektor.« Das letzte Wort spie er förmlich heraus. »In der Schänke würden einem die Leute ihre Geheimnisse erzählen! Das hast du gesagt!«
»Aber wenn man sie hören will, sollte man nüchtern bleiben!« Pekkala packte den Holzapfel, der immer noch auf dem Tisch lag, und warf ihn seinem Bruder zu.
Mit einer blitzschnellen Bewegung fing Anton ihn auf. Triumphierend sah er seinen Bruder an.
»Hast du dem Zaren angeboten, ihn zu befreien?«, fragte Pekkala.
Das zufriedene Grinsen wich schlagartig aus Antons Gesicht. »Was?«
»Du hast mich sehr gut verstanden«, erwiderte Pekkala. »Hast du dem Zaren angeboten, ihn und die Familie entkommen zu lassen?«
Anton lachte. »Hast du jetzt völlig den Verstand verloren? Welchen Grund sollte ich gehabt haben, ihnen zu helfen? Es gab mal eine Zeit, da wollte ich nichts anderes, als dem Finnischen Regiment anzugehören. Aber dann hast du mir meinen Platz dort weggenommen, und ich habe mir was anderes einfallen lassen müssen – etwas, worin der Zar keine Rolle spielt.«
»Du hättest dem Regiment wieder beitreten können«, sagte Pekkala. »Du bist nicht endgültig ausgeschlossen worden.«
»Ich wollte zurück zum Regiment. Aber dann habe ich erfahren, dass du auf dem Weg nach Petrograd warst, um meinen Platz einzunehmen. Hast du wirklich erwartet, ich würde diese Demütigung hinnehmen? Warum bist du nicht zu Hause geblieben und bist Bestatter geworden, wie es Vater für dich vorgesehen hat?«
»Wie er es vorgesehen hat? Er war es doch, der mich nach Petrograd geschickt hat, um deinen Platz im Regiment zu übernehmen.«
Anton blinzelte. »Er hat dich geschickt?«
»Nachdem wir das Telegramm bekommen haben, in dem stand, dass du relegiert warst. Wir wussten doch nicht, dass es nur vorübergehend war.«
»Aber … warum?«, stotterte Anton. »Warum hast du mir damals nichts gesagt?«
»Weil ich dich nicht finden konnte. Du warst wie vom Erdboden verschluckt.«
Beide schwiegen.
Anton stand regungslos dar. »Ich schwöre, das habe ich nicht gewusst«, sagte er schließlich.
»Es spielt keine Rolle mehr«, sagte Pekkala. »Es ist zu spät.«
»Ja«, erwiderte Anton wie in Trance. »Es ist zu spät.«
Dann ging er hinaus in den Hof.
»Vielleicht«, sagte Kirow, »hat einer der anderen Tscheka-Leute dem Zaren angeboten, ihm bei der Flucht zu helfen. Ihr Bruder hat davon vielleicht gar nichts mitbekommen.«
»Sie meinen, er war zu betrunken, um irgendetwas mitzubekommen?«
Beide sahen hinaus zu Anton, der die Stirn gegen die Mauer gelehnt hatte und sich mit einem Arm abstützte. Ein heller Urinstrahl ergoss sich in hohem Bogen auf den Boden. Dann verließ er den Hof und verschwand auf der Straße.
»Er wird wohl wieder in die Schänke gehen«, sagte Kirow.
»Anzunehmen.«
»Sie werden ihn wieder verprügeln.«
»Es scheint ihn nicht zu stören.«
»Als ich diesem Fall zugeteilt wurde, sagte man mir, dass seine Trunksucht ein Problem sein könnte.«
»Er ist nicht so betrunken, wie er uns weismachen will.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Kirow.
»Haben Sie gesehen, wie er den Holzapfel aufgefangen hat?«
»Sie haben seine Reflexe getestet?«
Pekkala nickte. »Wäre er wirklich betrunken, hätte er nie so schnell reagieren können.«
»Aber warum tut er so, als wäre er betrunken?«, fragte Kirow.
»Weil er etwas zu verbergen hat«, sagte Pekkala. »Nur weiß ich nicht, ob es mit den Ermittlungen zu tun hat oder mit etwas aus unserer Vergangenheit oder mit beidem.«
»Wollen Sie damit sagen, dass wir ihm nicht mehr trauen können?«, fragte Kirow.
»Das konnten wir nie«, erwiderte Pekkala.
Es gibt da etwas, was wir gern erfahren würden«, sagte Stalin. »Irgendwann werden Sie es uns sagen. Die Frage ist nur, was von Ihnen dann noch übrig ist, körperlich und seelisch.«
Pekkala war beinahe erleichtert, als es begann. Alles war besser als die
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