Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Ramones-T-Shirt, dessen Ärmel abgeschnitten waren. Valérie hatte noch Schlaf in den Augen, ihre unfrisierten braunen Haare waren unter einerBaseballkappe verborgen. Nie war sie Kieffer hinreißender erschienen.
Sie küsste ihn und schlang einen Arm um seine Hüfte. Dann zeigte sie auf die Cessna. »Damit fliegen wir?«
»Es war der einzige Flieger, den ich auf die Schnelle organisieren konnte. Es ist Feiertag.«
Tatsächlich war das Flugzeug, das Kieffer gechartert hatte, eine traurige Erscheinung. Die alte Propellermaschine brauchte dringend einen neuen Anstrich, eines der Seitenfenster war fast blind. Der Pilot hatte ihm jedoch glaubhaft versichert, Motor und Fahrwerk seien unlängst generalüberholt worden und befänden sich in hervorragendem Zustand.
»Wieso müssen wir eigentlich fliegen, Xavier? Ist dein Land dafür nicht viel zu winzig?«, fragte sie und kramte aus ihrer Handtasche eine Schachtel Gauloises hervor.
»Ich glaube, man darf hier nicht rauchen, Val.«
»Doch.« Sie zündete sich eine Zigarette an und sog genussvoll daran. »Um mich herum gibt es eine Raucher-Sonderzone von zwei Metern Durchmesser, die gilt überall.«
Da es wenig Sinn machte, sich mit La Gabin anzulegen, brachte Kieffer stattdessen ebenfalls eine Ducal zum Glühen. Dann sagte er: »In Wiltz herrscht der totale Ausnahmezustand. Da kommen wir mit dem Auto überhaupt nicht hin, das hätten wir uns früher überlegen müssen.«
Sie grinste. »Menschenauflauf in Luxemburg. 500 Leute?«
»Eher 20000.«
»Klingt trotzdem nicht nach soo viel.«
»Vielleicht nicht in Paris. Aber bedenke, dass selbstunsere Hauptstadt«, er deutete vage gen Westen, »bestenfalls 50000 Einwohner hat. Wiltz hat 5000. Für die ist die Fatima-Prozession wie euer Nationalfeiertag, Silvester und Fußball- WM auf einmal. Mit der Cessna fliegen wir einfach über den Trubel hinweg und kommen dann von Norden.«
»Ein toller Plan, und wer zahlt das alles?«
»François Allégret, dein Bürgermeister.«
»So wie du den Namen aussprichst, reimt er sich auf Kotzbrocken.«
Kieffer lächelte grimmig und trat seine Zigarette aus. »Oh, er ist sehr charmant. Aber ich halte ihn für einen korrupten, egomanischen und machtbesessenen Menschenfresser. Du nicht?«
Valérie zuckte mit den Achseln. »Er … François ist Politiker.«
Kieffer beschloss, das Thema nicht weiter zu vertiefen, und murmelte nur: »Er ist vermutlich eine Menge Dinge. Vor allem hat er mir versprochen, alle Spesen zu begleichen, und ich werde ihn beim Wort nehmen.«
»Nun, er ist vielfacher Millionär, insofern brauchen wir keine Skrupel zu haben.«
Der Koch schüttelte den Kopf. »Ich wage gar nicht zu fragen, womit er …«
Sie lächelte dünn. »Das weiß niemand so genau.«
Die beiden stiegen die kleine Klapptreppe hinauf und fanden sich in der Kabine des Fliegers wieder. Der Pilot schüttelte ihnen die Hand und bat sie, sich anzuschnallen. Wenige Minuten später waren sie bereits in der Luft.
»Warum ist diese Fatima eigentlich so eine große Nummer?«, fragte sie.
Er drehte sich zu ihr. »Bist du katholisch, Val?« Ihm wurde bewusst, dass er sie noch nie gefragt hatte, ob sie eigentlich religiös war.
»Wie es sich für ein gutes Mädchen aus der Auvergne gehört. Allerdings nur auf dem Papier. Und du?«
»Ex-Katholik.«
»Wieso das, Xavier?«
»Mein Vater war Katholik, meine Mutter Protestantin. Da wurde natürlich die Nase gerümpft, aber schlimm wurde es erst, als er eingewilligt hat, dass seine Kinder evangelisch getauft werden. Meine Mutter wollte das, ihm war es egal. Als er starb, da wollten die Katholiken den armen Mann nicht unter die Erde bringen, weil er sich an uns Kindern versündigt hat und so weiter. Ein römischer Priester kann vieles verzeihen. Aber nicht, dass man zwei potenzielle Kunden der Konkurrenz zuführt.«
»Aha. Und wieso bist du dann Ex-Katholik, wenn du doch evangelisch getauft wurdest?«
Kieffer schaute auf seine Hände. »Ich bin konvertiert.«
»Wie bitte?«
»Ja doch. Mit zwölf, 13 Jahren, da zog mich das an, der Weihrauch, die Ausspendung der Gnaden, die ganzen Mysterien. Bei den Protestanten hatte das alles überhaupt keine Grandezza. Da gab es Ikea-Funktionstische, die auch als Altar genutzt wurden, dazu handgetöpferte Becher fürs Abendmahl und Batik-Wandgehänge. Ich wollte unbedingt Messdiener werden, und deshalb bin ich konvertiert. Trotzdem wollten sie für meinen Vater keine Totenmesse lesen. Mir war das damals wichtig,
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