Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
komplett man die eine Hälfte Belvals umgekrempelt hatte, so unberührt schien die andere. Er rollte durch eine schmale Straße namens Avenue des Hauts Fourneaux, die, wie der Name andeutete, direkt an den Hochöfen vorbeiführte. Hier war noch nichts renoviert worden, alles rottete wie eh und je vor sich hin. Dann erreichte er nach einigen Hundert Metern eine Kreuzung, welche die Demarkationslinie zu sein schien. Auf der anderen Seite standen ausschließlich neue Gebäude, sogar das Trottoir sah wie geleckt aus. Ein Straßenschild verriet ihm, dass es sich hierbei um die gesuchte Rue de Rock’n’Roll handelte. Der Koch parkte sein Auto und schlenderte die Straße hoch, bis zu einem gläsernen Bürogebäude. An der Pforte standen die Namen von Werbeagenturen, Anwaltskanzleien und Unternehmensberatungen, die sich hier – wie Kieffer vermutete, gegen das Versprechen üppiger staatlicher Subventionen – niedergelassen hatten. Carvalho e Mello saß im fünften Stock.
Kieffer nickte dem Pförtner zu und betrat den Aufzug. Er hatte sich am Vortag mit Verweis auf Prezzemolo telefonisch bei Carvalho e Mello angemeldet, wo man seinem Wunsch, den Geschäftsführer persönlich zu treffen, auch entsprochen und ihm einen Termin für Donnerstagmorgen um elf Uhr angeboten hatte. Der Koch hatte zugestimmt und sich bei der Sekretärin noch nach dem Namen seines Gesprächspartners erkundigt, obwohl er den eigentlich bereits kannte.
Als sich die Lifttür unter synthetischem Glockenläuten aufschob, wartete auf der anderen Seite bereits eine Dame mittleren Alters auf ihn. Sie sah definitiv nicht so aus, wie er sich eine Fischhändlerin vorstellte, sondern hätte mit ihrem blauen Boss-Kostüm eher in ein Bankerbüro auf dem Kirchberg gepasst. Sie lächelte freundlich. »Monsieur Kieffer? Bitte kommen Sie herein. Unser Geschäftsführer erwartet Sie bereits.«
Sie führte ihn einen langen Gang entlang, zu dessen rechter Seite sich verglaste Büros befanden, in denen Menschen vor Flachbildschirmen saßen und auf Tabellen starrten. Dahinter erhob sich das Stahlwerk. Links hingen Gemälde, keine moderne Kunst, wie er angesichts der Büroeinrichtung aus Stahl und Chrom vermutet hätte, sondern alte Ölschinken. Am Ende des Ganges gab es einen größeren Raum mit Sitzgelegenheiten. Hier hieß die Dame Kieffer kurz warten, sodass er Zeit hatte, ein besonders wuchtiges altes Gemälde zu betrachten, das den Raum dominierte. Es hatte die Größe einer Garagenpforte und zeigte einen mit Kniestrümpfen und Puderperücke angetanen Adligen, der in staatsmännischerPose auf einer mit Louis-quatorze-Möbeln, griechischen Säulen und roten Baldachinen ausstaffierten Terrasse saß, die sich augenscheinlich auf einer Anhöhe befand. Um ihn herum lagen Erlasse, Karten sowie architektonische Entwürfe verstreut. Mit der Linken deutete der Mann auf einen sich hinter ihm in der Ebene erstreckenden Hafen, vor dem zahlreiche Segelschiffe ankerten. Auf einer kleinen Messingplakette darunter stand »Die Ausweisung der Jesuiten«.
Nach wenigen Minuten erschien die Frau wieder und geleitete Kieffer in ein Arbeitszimmer. Hinter einem mit Papieren überhäuften Designerschreibtisch aus Plexiglas saß dort ein zierlicher Mann und tippte auf einem Laptop herum. Als er seines Besuchers gewahr wurde, stand er auf und kam Kieffer lächelnd entgegen. »Monsieur Kieffer! Willkommen bei Carvalho e Mello, ich bin José Trebarca Silva, der Geschäftsführer.« Der Koch schüttelte die ausgestreckte Hand des Thunhändlers und musterte ihn. Silva war sehr klein. Kieffer selbst war nicht gerade ein Riese, dennoch konnte er dem Lusobourges mühelos auf den sich bereits deutlich lichtenden Schopf blicken. Der zierliche Mann hatte intelligent funkelnde Augen, zu denen sich ein unverbindliches Lächeln gesellte. Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein und steckte in einem dunkelblauen Zweireiher mit Goldknöpfen. Dazu trug er eine graue Flanellhose und ein blütenweißes Hemd mit Kragenschal. Die Kleidung war zweifelsohne maßgeschneidert – für einen Mann seiner beinahe zwergenhaften Statur gab es Anzüge von der Stange wohl höchstens in der Konfirmationsabteilung.
»Vielen Dank, dass Sie mich so kurzfristig empfangen, Herr Trebarca Silva. Mein Geschäftspartner Hashimoto-san hat mich geschickt, er kann Paris derzeit nicht verlassen. Eine Restauranteröffnung steht bevor.«
Silva nickte und bot ihm einen Sitzplatz an. Während sein Gastgeber sich wieder auf die andere
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