Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Seite des vollgestapelten Schreibtischs begab und von dessen Silhouette für einen Moment verschluckt wurde, sah sich Kieffer rasch in dem Zimmer um. Die Wand links von ihm war voller Fotos von religiösen Prozessionen und katholischen Heiligenbildern. Alle waren gerahmt und mit kleinen gravierten Messingplaketten versehen, auf denen sich kurze Beschreibungen befanden. Vor ihm erhob sich auf dem Direktorenschreibtisch ein Gebirge aus Ordnern, unabgehefteten Belegen und ungeöffneten Kuverts. Das alles war fast meterhoch aufgetürmt und Kieffer vermutete, dass es nur einer leichten Erschütterung bedurfte, um die vielen Stapel in eine Papierlawine zu verwandeln. Die Wand zu seiner Rechten hatte man mit einem wuchtigen Kopiergerät sowie diversen deckenhohen Regalen zugestellt, die Reihen um Reihen von Leitzordnern enthielten. Neben allgemeinen Kennzeichnungen wie »Rechnungen« oder »Inventur« erspähte Kieffer auch »Pombal« und »Samurai Sushi«. Hinter dem Arbeitsplatz befand sich eine Panoramascheibe, durch die man die Turbinenhalle Belvals sehen konnte.
Nach einigen Sekunden tauchte Trebarca Silva auf der anderen Seite des Schreibtisches wieder auf. Der Koch fragte sich, ob der Mann wohl einen Tritt benutzte, um auf seinen Sessel zu steigen. Der Lusobourges setzte sich, blätterte kurz in einem Notizbuch und faltete dann seine kleinen Hände vor sich auf der gläsernen Schreibtischplatte. »Sie möchten also Thun kaufen, Herr Kieffer?«, fragte er auf Französisch.
»So ist es. Ganze Bluefins.«
»Wie viele?«
»Vorausgesetzt, die Ware ist zufriedenstellend, benötigen wir zunächst etwa 15 Tiere pro Jahr. Später könnten es 30, vielleicht sogar bis zu 60 werden«, log Kieffer. Er bemerkte, wie seine Hände feucht wurden. Er hatte sich zusammen mit Hashimoto eine Geschichte für Silva ausgedacht, die ihm etwas hanebüchen erschien, aber möglicherweise funktionieren konnte. Sie musste es einfach. Trebarca Silva lächelte milde. »Das ist eine Menge Thun. Wofür brauchen Sie den, wenn ich fragen darf? Ich habe mich erkundigt, und Ihre Kompetenzen waren doch bisher eher … Bouneschlupp und Gromperekichelcher.«
Kieffer beeilte sich, zu nicken. »Völlig richtig. Aber mein eigenes Restaurant hat damit gar nichts zu tun. Ich arbeite auch als Gastroconsultant und ich kenne mich recht gut mit den Anforderungen in Fischrestaurants aus, da ich mehrere Jahre lang selbst eines geleitet habe.«
»Welches denn?«
»Das ›La Houle‹ in Paris.«
Trebarca Silva schürzte leicht die Unterlippe und zog gleichzeitig die Augenbrauen hoch, was wohl andeuten sollte, dass er durchaus beeindruckt war. »Ich kenne es, zumindest vom Namen. Das hatte sogar einen Stern, nicht wahr?«
»Damals zwei«, erwiderte Kieffer. »Auf jeden Fall helfe ich Fischrestaurants, ihren Einkauf zu optimieren, mache Kalkulationen, überprüfe Arbeitsabläufe, solche Dinge. Und derzeit arbeite ich für Kaneda Hashimoto, einen Japaner, der demnächst eine völlig neuartige Kette von vollautomatisierten Sushirestaurants eröffnen will.«
»Wie interessant. Mit Sushirobotern? Das ist ein Bereich, in dem ich mit einer Tochterfirma ebenfalls aktiv bin.«
»Ja, das ist mir bekannt, Monsieur Silva. Ich habe Ihr Geschäft in Esch schon einmal besucht und es ist gut möglich, dass wir auch wegen weiterer Zutaten und Gerätschaften ins Geschäft kommen könnten.« Als Kieffer dies sagte, nahmen die Augen Silvas jenen warmen Glanz an, den man bei unterkühlten Geschäftsleuten immer sieht, wenn sie im Hinterkopf das Gewinnpotenzial eines Deals taxieren und mit dem Ergebnis zufrieden sind. »Wobei das«, fuhr er fort, »was Hashimoto plant, über den Einsatz einzelner Roboter weit hinausgeht.«
»Können Sie mir verraten, was genau er vorhat?«, fragte Trebarca Silva.
Kieffer schüttelte den Kopf. »Aus Gründen, die Sie als Geschäftsmann sicherlich nachvollziehen können, muss ich im Ungefähren bleiben. Was ich Ihnen jedoch sagen kann, ist, dass es in Tokio seit einem Jahr eine revolutionäre neue Sushikette namens Kimoi gibt, bei der alles automatisch läuft. Sie bestellen Ihr Essen über einen Tischcomputer, es wird dann von Robotern zubereitet und über Laufbänder an Ihren Tisch befördert. Selbst das schmutzige Geschirr wird über versteckte Laufbänder weggeschafft und automatisch gesäubert – es gibt nicht einmal mehr Tellerwäscher.«
Als Hashimoto ihm diese Geschichte auftischte, hatte Kieffer zunächst protestiert. Das Märchen vom
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