Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Gespräch mit dem Thunfisch‹. Der wahre Meister versenkt sich in den Fisch und erkennt, wie er gelebt hat, wie seine Muskeln verlaufen, wo die Knochen liegen, was er gefressen hat. Alles. Erst nach dem Maguro no kaiwa schneidet er.«
Vatanen schaute skeptisch. »Das klingt für mich, bei allem Respekt, nach mystischem Mumpitz. Wie funktioniert das?«
»Darauf gibt es keine Antwort. Es funktioniert. Ihr Europäer wollt immer auf alles Antworten. Ihr müsst mehr handeln, weniger denken.«
Kieffer glaubte auch nicht an eine Kung-Fu-Mystik des Fischfiletierens. Trotzdem konnte er sich vorstellen, was Hashimoto meinte. Was Meister einer handwerklichen Tätigkeit ausmachte, war die Fähigkeit, intuitiv das Richtige zu tun. Nicht zuletzt beim Kochen war das so – im exakten Moment einen Topf vom Feuer zu nehmen, das Eiweiß genau so lange zu schlagen, wie es notwendig war, das Messer beim Filetieren jedes Mal an genau der richtigen Stelle anzusetzen, obwohl jedes Hühnchen oder jeder Lachs anders waren, das war die Kunst. In Pépins »La Technique«, dem Standardwerk für Profiköche, konnte man sich die Zubereitung jedes Gerichts Bild für Bild als exakte Abfolge anschauen, man konnte diese auch auswendig lernen. Aber erst, wenn man den Vorgang mit seinen eigenen Händen ausgeführt hatte, zehnmal, hundertmal, tausendmal, dann tat man das Richtige und Notwendige, ohne überlegen zu müssen. Er nahm an, dass Toros Maguro no kaiwa nach einem ähnlichen Prinzip funktionierte, ganz ohne Zauberei.
Der Japaner hatte sein Sägewerkzeug inzwischen weggelegt und sich ein noch größeres Messer gegriffen. Es hatte eine leicht gebogene Klinge, wie man sie von japanischen Samuraischwertern kannte und maß etwa 1,30 Meter. Am unteren Ende waren Schriftzeichen eingeätzt. »Jetzt kommt der schwierige Teil. Also bitte Ruhe.«
Zunächst fuhr er mit der Klinge einige Zentimeter links des Rückenkamms entlang. Er versenkte das Schwert tief im Inneren des Fisches, sodass nur noch der Griff und ein kleines, mit einem Handtuch umwickeltes Stück der Klinge zu sehen waren. Beidhändig führte der Japaner die Klinge durch den Fisch. Kieffer konnte sehen, wie seinem Freund der Schweiß das Gesicht hinabrann. Dann zog Hashimoto das Schwert heraus, ging zum Kopfende, und setzte dort das Messer erneut an. Der Sushikoch führte sein Werkzeug diesmal durch das Bauchfleisch, bis er die oben liegende Flanke des Thuns der Länge nach durchtrennt hatte. Schließlich legte er sichtlich erschöpft das Messer weg. »Es ist einigermaßen geworden. Wir können jetzt die Seite abnehmen.«
Gemeinsam hoben sie den riesigen Fleischlappen von der Arbeitsplatte in eine mit Eis gefüllte Metallwanne, die Kieffer zu diesem Zweck bereitgestellt hatte. Danachversammelten sich die Männer um die Karkasse des Fisches, wie Forensiker bei einer Obduktion. Hashimoto trennte noch eine Scheibe Thunfilet von der herausgeschnittenen Seite ab, legte sie auf ein Küchenbrett und brachte sie zu ihnen herüber. Still standen sie einige Minuten lang um den Fisch herum. Alvarez fuhr über die Haut des Thuns und leuchtete mit einer kleinen Stabtaschenlampe, die er irgendwo aus den Falten seines Trenchcoats gezogen hatte, in das Innere des Fischs hinein. Hashimoto war unterdessen damit beschäftigt, das Thunsteak zwischen seinen Fingern zu kneten und es sich direkt vor die Nase zu halten. Er betrachtete Maserung und Muskelstränge, wie ein Prospektor, der eine vielversprechende Erzader begutachtet.
Vatanen und Kieffer ließen die beiden Experten gewähren. Dann sagte der Finne unvermittelt: »Man kann nur hoffen, dass der Fisch nicht in Ordnung ist, sondern vollgepumpt mit Quecksilber oder Dioxin.«
Kieffer sah seinen Freund überrascht an. »Wieso das?«
»Na ich kenne dich doch, du moselfränkischer Geizkragen. Wenn dieser Brocken essbar sein sollte, muss ich im ›Deux Eglises‹ die nächsten zwei Jahre lang Thunsteaks essen, und so raffiniert schmecken die nun auch wieder nicht.«
Bevor Kieffer antworten konnte, bauten sich Hashimoto und Alvarez vor ihnen auf. Der Japaner öffnete als Erster den Mund. »Das Fleisch scheint mir völlig in Ordnung zu sein. Geruch, Geschmack und Textur sind okay, sogar sehr okay.« Er verzog das Gesicht und kratzte sich am Hinterkopf.
»Aber?«, fragte Kieffer.
»Aber irgendwas ist eigenartig.«
»Was denn?«
»Ich weiß es nicht. Es ist mehr so ein Gefühl.«
Vatanen seufzte. »Ein Gefühl? So wie beim Turteln mit dem
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