Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
seiner Ausmaße erstaunlicher Unauffälligkeit genähert hatte. »Guten Morgen. Eine bizarre Stadt ist das.«
»Guten Morgen, Pedro. Wieso bizarr?«
»Klein, aber auch wieder nicht. Ich habe mir einen täglichen Morgenspaziergang verordnet. Vielleicht ist es Ihnen nicht aufgefallen, ich bin leicht übergewichtig.«
Hashimoto ließ sein Ziegengemecker hören, Kieffer schmunzelte.
»Wie dem auch sei, ich habe mir im Hotel einen Stadtplan geben lassen und mir gedacht, so ein winziges Städtchen, das kannst du problemlos in einer Stunde durchlaufen. Aber was man hier nicht sieht«, er tippte auf einen zerknitterten Stadtplan Luxemburgs, den er in seiner Pranke hielt, »ist, dass es überall rauf und runter geht. Steile Felswände alle paar Hundert Meter, Serpentinen, der Fluss. Ihre ganze Stadt ist ein einziger Umweg, Xavier.«
Alvarez setzte sich und winkte den Kellner heran. Er bestellte vier Eier mit Speck sowie einen Brotkorb. Dann sah er Kieffer prüfend an. »Was werden Sie als Nächstes tun?«
»Einige Tage Urlaub machen«, entgegnete Kieffer.»Ich hole gleich meine Freundin vom Flughafen ab, und dann fahren wir in die Luxemburger Schweiz. Das liegt weiter im Nordosten des Landes.«
Hashimoto lachte. »Also ungefähr 50 Kilometer von hier!«
»So in etwa. Wie es mit dem Thun weitergeht, das weiß ich allerdings nicht. Ich habe hier noch etwas, das ich Ihnen zeigen wollte, Pedro.«
Kieffer entnahm der Tasche seiner schwarzen Lederjacke jenen Zettel, den er bei Carvalho e Mello hatte mitgehen lassen und legte ihn vor die beiden Männer auf den Tisch.
»Was ist das?«
»Ein Lieferschein aus Trebarca Silvas Firma, der mir zugeflattert ist. Ich vermute, dass er Futter für seine Fische bestellt hat. Schaut ihn euch an, sagt euch das irgendwas?«
»Überhaupt nichts. Obwohl, das da oben sind eindeutig Koordinaten, sehr exakte sogar«, brummte Alvarez. »Bis auf die Hundertstelsekunde genau, vermutlich zur Eingabe in ein nautisches Gerät. Ist irgendwo in Süditalien, das sehe ich so. Diese Insel namens Bonaccia kenne ich allerdings nicht.«
»Ich habe den Namen gegoogelt, aber nichts gefunden«, sagte Kieffer. »Und was wird hier geliefert? 10 Tonnen ›tuna feed‹? Thunfutter? Ich dachte, Bluefins fressen kein Fischmehl.«
»Vielleicht ist es Lebendfutter«, wandte Alvarez ein.
»Und warum steht hier eine Nummer? Gibt die nicht die Futterart an?«, widersprach Hashimoto.
Sie schwiegen einen Moment, dann holte der Spanier sein Handy aus der Tasche. »Das mit der Insel könnenwir rasch klären. Ich rufe einfach meinen Freund, den Raís an. Der alte Seewolf kennt das Tyrrhenische Meer wie seine Westentasche.«
»Den Raís? Klingt wie ein Titel.«
»Ist es auch. Das Wort kommt aus dem Arabischen und bedeutet König. So nennen die Sizilianer die Vorsteher ihrer Tonnaras, der Thunfischer-Kooperativen. Wenn es da unten eine Insel dieses Namens gibt, kennt der Raís sie.«
Alvarez ließ seine Wurstfinger über die winzige Tastatur des Telefons gleiten und wartete einen Moment. Dann begann er auf Italienisch mit jemandem zu sprechen. Nach etwa zwei Minuten hielt er Kieffer das Handy hin. »Sein Name ist Antoniu Gallo, er ist der Raís von Favignana. Er kann einigermaßen Englisch.«
Kieffer griff nach dem Mobiltelefon. »Herr Gallo, guten Morgen.«
»Buon giorno. Pedro sagt, Sie suchen eine Insel?«
»So ist es. Sie heißt Isola di Bonaccia. Ich habe hier auch die Koordinaten.«
»Brauch’ ich nicht. Kenne sie. Liegt vor der Westküste, weit draußen. Insel ist aber zu viel gesagt.«
»Ist sie klein?«
»Eine Isoletta. Ein größerer Felsen.«
»Ich vermute, dass dort möglicherweise jemand eine Fischzucht betreibt.«
»Da draußen? Kaum. Nicht, dass ich in letzter Zeit vorbeigeschippert wäre. Fische gibt es in der Gegend schon lange keine mehr. Möwenscheiße, sonst nichts. Gottverlassener Ort.«
»Danke für die Information. Haben Sie gerade Fangsaison für Bluefin, Herr Gallo?«
»Wie man’s nimmt. Wenn Sie diese paar Fischchen als Fang bezeichnen wollen … wir machen das hier eigentlich nur noch für Touristen, die mal eine echte Mattanza sehen wollen.«
»Ich verstehe. Vielen Dank, Herr Gallo.«
»Nichts zu danken. Arrivederci.« Dann legte der Raís auf.
Kieffer gab Alvarez sein Telefon zurück. »Wo liegt dieses Favignana, wo Gallo lebt?«
»Etwa hundert Kilometer westlich von Palermo, auf einer Sizilien vorgelagerten Insel. Dort gab es früher die besten Fanggründe für Thun, die
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