Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
größte Tonnara des ganzen Mittelmeers war da. Und das seit 1200 Jahren, darum auch der arabische Begriff Raís. Schon die Mauren haben vor Favignana Thun aus dem Wasser gezogen.« Alvarez zuckte mit den Schultern. »Bald wird es nichts weiter als ein Museum sein.«
Nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatten, verabschiedete sich Kieffer von den beiden Männern. Der Koch schaute auf seine Armbanduhr. Er musste nun von der Oberstadt zurück zu seiner Wohnung in der ville basse laufen und ein paar Sachen für sein gemeinsames Wochenende mit Valérie zusammenpacken. Außerdem wollte er in Clausen bei der Wäscherei frische Hemden abholen, damit er Valérie nicht in seinem üblichen Knitterlook aus ungebügeltem T-Shirt und Cordhose gegenübertreten musste. Danach hieß es rasch zum Flughafen fahren, um sie abzuholen. Ihm blieb höchstens noch eine Stunde, um all das zu bewerkstelligen. Doch anders als Pedro Alvarez kannte er d’ Stad wie seine Westentasche. Statt eines »einzigen Umwegs« war Luxemburg für ihn eine einzige Abkürzung.
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Es gibt Beziehungen, deren Zustandekommen eine äußerst mühsame Angelegenheit ist. Ihr Anbahnungsritual besteht aus einer langen Reihe verschämter Begegnungen an Supermarkttheken, auf Partys, oder in der Kaffeeküche eines Großraumbüros. Und es gibt wiederum andere, in die man so leicht hineinrutscht wie in ein paar vorgewärmte Pantoffeln. Nach allem Dafürhalten hätte Kieffers Liebe zu Valérie Gabin aufgrund der unterschiedlichen Bahnen, in denen ihrer beider Leben verliefen, ein Königskinderdrama der Kategorie eins vorausgehen müssen.
Es war aber überhaupt nicht so.
Schon bei ihrem ersten Treffen in einem Pariser Bistro vor fast einem Jahr war er von der Gabin-Erbin hingerissen gewesen, zunächst von ihrem unkomplizierten Lächeln, ihren grünen Augen. Bald auch von ihrer kumpelhaften Art und ihrem schnippischen Humor. Kieffer war es, entgegen allem, was er über sich selbst zu wissen glaubte, nicht schwergefallen, ihr sein Interesse mitzuteilen, auf jene subtile, aber dennoch verbindliche Art, die Frauen schätzen. Was ihn an Valérie zudem beeindruckt hatte, war das Fehlen gewisser Charaktereigenschaften, die er bei einer Pariserin aus bestem Hause stets voraussetzte: Standesdünkel, eine Vorliebe für teure, jedoch nicht unbedingt schöne Dinge, Zickigkeit, soziale Inkompetenz, geringe Verständnistiefe für alltägliche Belange. Nichts davon traf zu, Valérie Gabin war eine ganz normale junge Frau.
Und sie war es wiederum auch nicht. Denn ihr gehörte die Aktienmehrheit am Guide Gabin, dem berühmtesten Restaurantführer der Welt. Seit 1907 vergaben dessen Tester die begehrten Sterne, und es gab niemanden im gastronomischen Universum, der sich der immensen Gravitation des Gabin entziehen konnte. Über die Jahrzehnte hatte das von Valéries Großvater Auguste Gabin gegründete Imperium neben der blauen Feinschmeckerfibel zahlreiche weitere Publikationen aufgelegt. Es gab inzwischen Gabin-Reiseführer, Büchlein mit Empfehlungen für sterneunverdächtige Regionalküche und sogar einen eigenen TV – Kanal im französischen Fernsehen. Dadurch war das Firmenhauptquartier an der Avenue de Breteuil noch stärker zum Dreh- und Angelpunkt alles Kulinarischen geworden. Sämtliche Teilnehmer des globalen Küchenzirkus zogen ihre Bahnen um den Gabin. Kieffer hatte freilich manchmal den Eindruck, dass die Dinge nicht so sehr um den Gabin kreisten, sondern um die Gabin. La Gabin, Valérie, seine Freundin. In jenen Momenten, in denen ihm dies bewusst wurde, wenn sie umschwärmt war von Politikern, Sterneköchen oder Reportern, dann fiel die Illusion des ganz normalen Mädchens, die zu seinem Idealbild Valéries gehörte, in sich zusammen wie ein Soufflé, das man zu großer Hitze ausgesetzt hatte.
Er wusste auch nach einem Jahr noch nicht, wie er damit umgehen sollte, dass er de facto mit einem Star liiert war. Der Weg von ihrer aufkeimenden Liebe zu einer mehr oder minder festen Pendlerbeziehung hatte sich mit einer Selbstverständlichkeit und Schnelligkeit vollzogen, die Kieffer im Rückblick verwirrte. Von Anfang an hatte es keiner Erklärungen bedurft, keiner Treueschwüre. Ab dem Moment, als ihre Hände einander zum ersten Mal berührten, war klar gewesen, dass sie von nun an zusammengehörten, egal, was die anderen über sie sagten. Über diese zwei, die nicht füreinander gemacht waren: Der etwas übergewichtige, allmählich ergrauende Koch ohne Sterne, der
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