Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Doppelgaragen kündeten davon, dass diese Aussicht nicht ganz billig zu haben war. Sie gingen vorbei an gepflegten Gärten voller Blumen und Hainen von Obstbäumen. Einige der Hausbesitzer hatten ihren Anwesen kleine Türmchen hinzugefügt, die wie Miniaturversionen der Türme des Dënzelt, des mittelalterlichen Rathauses im Stadtzentrum, aussahen. Andere passten weniger gut in dieEifellandschaft. Kopfschüttelnd stapfte Kieffer an einem wuchtigen Landhaus im Toskanastil vorbei.
Als sie oben angekommen waren, mündete die Straße in einen kleinen Waldweg. Kieffer atmete schwer. Er hatte sich für deutlich fitter gehalten, doch eine Anhöhe zu erklimmen war eben etwas anderes als das gelegentliche Hochwuchten von Kartoffelkisten. Es erforderte Kondition, und die war ihm offenbar irgendwann abhandengekommen. »Da merkst du jede Ducal, was?«, neckte Valérie ihn. Dann küsste sie ihren Koch auf die Nasenspitze. »Schön ist es hier oben.«
Vom Trooskneppchen konnte man auf Echternach hinabschauen, das unter ihnen im Tal lag. In der Mitte lag die riesige Sankt-Willibrord-Basilika mit ihren vier Türmen, dahinter die Benediktinerabtei. Rundherum gruppierten sich Hunderte Altstadthäuschen, wild durcheinandergewürfelt, in dem für mittelalterliche Städtchen typischen organischen Chaos. Jenseits der Stadt, wo die Sauer an Echternach vorbeifloss, stieg das Land sanft an. Kieffer sah grüne Wiesen und Laubwälder, die bereits auf der rheinland-pfälzischen Seite lagen.
»Wo laufen wir als Nächstes hin?«, fragte Valérie.
»Ich dachte, wir gehen den Waldweg dort weiter, bis zur Hohlley.«
»Was ist das?«
»Eine Felsgrotte, wo man früher Mühlsteine geschlagen hat.«
»Klingt romantisch.«
»Ich befürchte, es ist nicht ganz so abgeschieden, wie du vielleicht denkst. Wenn unser Land ein touristisches Zentrum hat, dann liegt es vermutlich hier.«
Sie stiegen weiter hinauf und gingen Hand in Handden Waldweg entlang. Links von ihnen ragte eine steile, gut 30 Meter hohe Felswand empor. Steinbrocken, manche so groß wie ein Haus, waren aus dem Kamm gebrochen und den Hang hinuntergerollt, in Richtung des rechts unter ihnen liegenden Sauertals. Findlinge und Felsen waren mit Moos und Steingewächsen überwuchert, und man erwartete, dass jeden Moment ein kleiner Gnom oder eine Elfe hinter einem der Felsbrocken hervorspähten. Sie gingen weiter, bis zur Gorge de Loup, einer Felsenklamm, in der man einen schmalen Pfad hinunter und dann wieder hinauflaufen musste, um auf den Kamm darüber zu gelangen. Kurze Zeit später erreichten sie die Grotte an der Hohlley. Dort zeigte Kieffer Valérie zunächst jene Stellen, an denen man früher die Mühlsteine gebrochen hatte, Vertiefungen im Stein, inzwischen vom Wasser ganz rund gewaschen. Dann nahm er seinen Rucksack ab und sagte: »Vesperpause.« Leicht belustigt, aber nicht ohne Interesse beobachtete Valérie, wie er eine kleine Tischdecke auf einem geborstenen Mühlstein ausbreitete und ihnen so einen provisorischen Tisch schuf. Er entnahm seinem Rucksack ein knuspriges Landbrot aus Roggen sowie drei kleine Metallschüsselchen mit Plastikdeckeln. In ihnen befanden sich Cornichons und Perlzwiebeln, Datteltomaten sowie Scheiben deftiger Pastete. Als er alles angerichtet hatte, stellte er noch Beerenkompott und eine Flasche Riesling dazu.
»Paté?«
»Ja, aber wir sagen: Pati. Mit Kalb, Poularde, Speck und Pistazien, aus eigener Produktion. Probier mal.« Er strich etwas Pastete auf ein Stück Landbrot und kleckste Kompott darauf. Bereitwillig ließ sie sich vonihm füttern. Nachdem sie gegessen und die Hälfte des Rieslings getrunken hatten, rauchten sie in aller Stille. Dann sagte Valérie: »Was macht dein Fall? Gibt es inzwischen etwas Neues?«
»Mein Fall? Das klingt jetzt wie bei einem Kommissar.«
»Ach, hab dich nicht so. Es interessiert mich halt brennend. Oder sollen wir später darüber reden?«
»Nein, schon okay. Aber es ist kompliziert.« Er erzählte ihr, was er bisher herausgefunden hatte – was seiner Ansicht nach nicht allzu viel war. »Was klar scheint, ist, dass jemand Mifune vorsätzlich vergifteten Oktopus ins Orsay geschmuggelt haben muss. Wenn wir davon ausgehen, dass sein Maître die Wahrheit sagt, dann hat Mifune den Kraken selbst zubereitet. Er war also vermutlich in Ordnung, als er das ›Ue no tai‹ verließ. Erst im Museum wurde das Gift hinzugefügt.«
»Oder auf dem Weg dorthin«, wandte sie ein.
Kieffer küsste sie unvermittelt auf den
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