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Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Titel: Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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noch etwa 25 Köche und Einkäufer, darunter etliche Japaner. Dass Kieffer so lange zwischen den Ständen verweilte, ohne etwas zu kaufen, schien niemanden zu verwundern. Er wusste, warum. Anders als preiswertere Meerestiere wie Heringe oder Schollen waren Thunfische eine große Investition. Sich mit seiner Entscheidung überreichlich Zeit zu lassen, war ganz normal. Einige der Männer, die um ihn herum mit strengem Blick die Form der Flossen, die Röte der Kiemen oder die Maserung des Fleisches inspizierten, würden über eine Stunde darauf verwenden, alle Stände abzuklappern und die Händler mit Fragen zu löchern – um dann erst einmal abzuwarten. Genauso wichtig wie das Inspizieren der Ware war auf dem Carreau nämlich die Beobachtung der Konkurrenz. Kieffer konnte sehen, wie sich die prospektiven Käufer argwöhnisch beäugten, wie Börsenhändler auf dem Parkett, die herauszufinden versuchten, was der Trend des Tages sein könnte. Wer kaufte bei Joffé, wer bei Marechal? Hatte der Kollege aus dem feinen Restaurant nahe des Bercy seinen Yellowfin vergangene Woche nicht noch bei einem anderen Händler erstanden? Warum hatte er die Quelle gewechselt? Wusste der andere etwas, das man selbst nicht wusste? Man musste davon ausgehen. Also gebot es die Sorgfalt, noch einmal zu beiden Ständen zu gehen und die dort feilgebotenen Fische genau auf etwaige feine Unterschiede zu prüfen. Kieffer schmunzelte über das Treiben und suchte nach einem ihm bekannten Gesicht. Es dauerte ein wenig, bis er fündig wurde. Jede Woche war er hierhergekommen, aber das war viele Jahre her. Wie sich nach einem kurzen Rundgang herausstellte, war der einzige Mensch, den er noch kannte, der alte Eugène Rimet. Der Händler war ein rundlicher, inzwischen sogar überaus rundlicher Bretone, der schon seit Menschengedenken auf dem Rungis Fisch verkaufte. Manche behaupteten, dass Rimet bereits in Les Halles Meerestiere verkauft habe, doch das hielt Kieffer für Fischweibergeschwätz. Als gesichert konnte gelten, dass der Bretone seit mindestens 30 Jahren an allen 300 Öffnungstagen um Mitternacht zum Markt fuhr und auch sonst in jeder Hinsicht ein waschechter Fischhändler war: Sein Interesse an Klatsch und Tratsch galt als legendär. Kieffer näherte sich Rimets Stand.

    »Bonjour, Eugène, kennen Sie mich noch?«
    Der Fischhändler blinzelte kurz und betrachtete Kieffer einen Moment lang ratlos. Dann warf er die Arme gen Hallendecke und rief »Heilige Jungfrau, der kleine Xavier! Das Wunderkind aus dem ›La Houle‹! Es muss sehr lange her sein, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Damals«, der Bretone lüftete kurz seine rote Schirmmütze, um seinen kahlen Kopf zu zeigen, »hatte ich noch Haare.«
    Kieffer plauderte ein wenig mit Rimet und erzählte ihm, dass es ihn inzwischen wieder nach Luxemburg verschlagen habe.
    »Wie laufen die Dinge auf dem Rungis so, Eugène?«
    »Schlecht laufen sie, junger Freund. Die nigelnagelneue A4, man wird sie bald dichtmachen müssen, wenn es so weitergeht.«
    »Wieso?«
    »Weil sie alle den Hals nicht vollkriegen. Das Meer ist leer. Unsere Fischer beklagen sich, weil die Dänen, die Engländer und die Spanier mit ihren Hightechflotten alles ratzekahl leerfischen.«
    »Und die Franzosen, halten die sich denn an die Fangquoten?«
    Rimet lächelte spöttisch. »Ganz bestimmt nicht. Über den Rungis geht jedes Jahr Fisch für 700 Millionen Euro. Beim Lachs haben wir gerade die Acht-Millionen-Kilo-Marke geknackt. Verdammt viel Fisch, verdammt viel Geld, da will jeder ein möglichst großes Stück vom Kuchen. Aber jetzt werden die Stücke immer kleiner, weil der Kuchen inzwischen keine Festtagstorte mehr ist, sondern nur noch eine mickrige Galette.«
    »Und wie sieht es mit dem Thun aus?«

    »Nicht besser als mit dem anderen Zeug. Auch da ist bald Schluss.« Rimet musterte Kieffer. »Bist du hier, um Fisch zu kaufen, mein Junge?«
    »Ehrlich gesagt bin ich hier, weil ich versuche, etwas über jemanden herauszufinden, Eugène. Jemanden, der vor einiger Zeit hier war.«
    Der Bretone musterte ihn misstrauisch. »Wen denn? Einen Käufer?«
    Kieffer nickte. »Ja, genau. Ryuunosuke Mifune, den berühmten Sushikoch.«
    »Den toten Sushikoch.«
    »Ja, eine traurige Geschichte.«
    »Junger Freund, mit solchen Fragen kommen normalerweise nur die Flics hierher.«
    »Und, waren sie deswegen hier?«
    Rimet schaute sich zunächst um, als wolle er sich vergewissern, dass die Police Judiciaire nicht irgendwo zwischen

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