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Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Titel: Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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bizarr?«
    »Na, pass auf: Er drückt den Schlitz auseinander, guckt. Guckt noch mal. Steckt sein Messerchen weg. Lächelt freundlich, verneigt sich. Dann sagt er etwas, überhaupt das Einzige, was er während seines Besuchs gesagt hat, dreht sich um und verlässt ohne ein weiteres Wort die Halle.«
    »Du weißt nicht zufällig, was er gesagt hat?«
    »Oh doch. Mindestens ein Dutzend Leute haben es mitbekommen. Er hat gesagt: ›Gebratenes Wasser‹.«
    »Wie bitte?«
    »Eau sautée. Gebratenes Wasser. Das waren seine Worte, der Herr ist mein Zeuge. Wir haben hier tagelang darüber gestritten, ob das jetzt als Lob oder als Kritik gemeint war. Oder ob bei diesem Typ vielleicht einfach eine Schraube locker war.«
    »Wann genau hat sich das zugetragen?«
    »Das muss Mittwoch vor vier Wochen gewesen sein«, sagte Rimet. Kieffer rechnete kurz nach. Mifune war alsorund zehn Tage vor seinem Tod auf dem Rungis gewesen. »Vielen Dank für deine Hilfe, Eugène. Ich schaue bald mal wieder vorbei.«
    »Gern geschehen, Junge. Aber warte nicht wieder 15 Jahre. Dann bin ich nämlich wahrscheinlich tot. Oder der Thunhandel ist es. Oder wir beide.«

[Menü]
21
    Kieffer war froh, dass ihn Allégrets Informantin nicht zum Lunch geladen hatte. Das Essen im Marly war nämlich seiner Erinnerung nach so bescheiden wie die Preise hoch waren. Unterboten wurde die Qualität der Speisen nur noch vom Service, der selbst für Pariser Verhältnisse kaum zumutbar war. Dennoch würde es dort selbst zur Kaffeezeit brechend voll sein, wie eigentlich immer. Kieffer fragte sich, ob die Informantin wohl einen Tisch reserviert hatte. Er schaute auf seine Uhr. Es war kurz vor drei. Der Luxemburger beendete die Zeitungslektüre, mit der er sich eine Stunde lang in den Tuilerien die Zeit vertrieben hatte. »Le Monde«, »Le Parisien«, »Le Figaro« und diverse Magazine – alle hatte er durchgearbeitet, auf der Suche nach Artikeln über Ryuunosuke Mifune. Zwar war er durchaus fündig geworden, die Berichte waren jedoch wenig erhellend. Die französische Öffentlichkeit ging offenbar immer noch von einem tragischen Unfall aus, weswegen sich das Gros der Beiträge mit Mifunes Verdiensten als Wegbereiter der japanischen Küche in Europa beschäftigte.
    Beim Durchblättern der Presse war Kieffer zudem klargeworden, warum der Bürgermeister so sehr auf rasche Ergebnisse drängte. Nicht nur forderte die sozialistische Opposition im Stadtrat immer lauter Aufklärung. Das Dinner im Musée d’Orsay hatte zudem eine Debatte darüber entfacht, ob die Pariser Stadtverwaltung unter Allégret zu einem Selbstbedienungsladen geworden war, wie »Le Monde« behauptete. Das Blatt berichtete von einer Reihe feiner Stadtvillen im Staatsbesitz, welche zu sehr günstigen Konditionen an diverse Freunde des Bürgermeisters vermietet worden waren. Und »Paris Match« bildete Allégret auf seinem Cover in der Pose eines absolutistischen Bourbonenherrschers ab, mit der Überschrift »Paris c’est moi«. Im Innenteil gab es eine doppelseitige Infografik, auf der dargestellt wurde, welche Familienmitglieder der Bürgermeister auf welchen lukrativen Posten untergebracht hatte – und zu welchen Wirtschaftsführern er ein besonders inniges Verhältnis pflegte.
    Kieffer ließ den zerknitterten Papierstapel auf der Parkbank liegen und verließ den Garten an der Nordseite. Über die Arkadengänge auf der Rue de Rivoli erreichte er wenige Minuten später das Carrousel du Louvre. Durch einen Torgang gelangte er in den Innenhof des Museums, in dem sich das Café Marly befand. Es war ein schöner Tag und so waren sämtliche Außenplätze erwartungsgemäß mit sonnenhungrigen Menschen besetzt, die an reichlich verfrühten 15-Euro-Aperitifs nippten und von der etwas erhöhten Balustrade aus zuschauten, wie endlose Ströme von Touristen die gläserne Pyramide des Louvre in einer trägen Spiralbewegung umrundeten, als wären sie Pilger in Mekka.
    Kieffer ging in den Innenbereich und schaute sich um.Bevor er in den hinteren Teil des Restaurants vordringen konnte, passte sie ihn bereits ab. »Monsieur Kieffer? Ich glaube, wir sind verabredet.« Sie war vielleicht Mitte dreißig, so genau ließ sich das nicht sagen. Ihre Haare, deren Farbe vielleicht Hinweise auf das Alter hätten geben können, waren unter einem Hermès-Seidentuch verborgen. Auch ihr Gesicht entzog sich Datierungsversuchen. Ihr Make-up war eben so makel- wie maßlos, ihre Augenpartie versteckte sie hinter einer riesigen

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