Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
den Fischständen eine Abhöranlage installiert hatte. Dann raunte er: »Nicht, dass ich wüsste.«
Kieffer nickte. »Und das ist der Grund, warum gewisse Leute mich gebeten haben, für etwas mehr Klarheit in der Sache zu sorgen.«
Die Augen des Bretonen leuchteten. Hier hatte er eine Geschichte am Haken, die den Fischhändlertratsch über Wochen befeuern würde. »Was sind das denn für Leute?«
»Mifune hatte viele einflussreiche Freunde. Mehr darf ich leider nicht verraten.« Kieffer musterte seinen Gesprächspartner. Er hatte bisher noch nie darüber nachgedacht, warum der Begriff Neugierde das Wort Gier enthielt, doch ein Blick in Rimets hungrige Augen genügte, um dieses etymologische Rätsel zu lösen. »Unteruns«, fuhr Kieffer fort, »geht es um eine sehr bedeutende Persönlichkeit, die an der Sache interessiert ist. Bitte niemandem erzählen.«
Der Fischhändler hob zwei Finger zum Schwur. »Also gut. Es ist ohnehin kein Geheimnis und wahrscheinlich könnte dir jeder hier in der Halle die Geschichte erzählen.«
»Welche Geschichte?«
»Die von Mifunes großem Auftritt. Jeder im Pavillon de la Marée weiß natürlich, wer der Kerl ist. War. Der beste Sushikoch der Stadt und so weiter. Gesehen haben wir den Typ allerdings nie, er ging nicht auf den Rungis. Vermutlich hatte er seine eigenen Lieferanten.«
»Und dann war er plötzlich da.«
»Oh ja. Er ist aus heiterem Himmel aufgetaucht, einer der Austernhändler im vorderen Teil der Halle hat ihn zuerst erkannt. Es hat nur ein paar Minuten gedauert, dann wusste jeder Grätenpuler: Der große Mifune ist hier. Und jeder wollte natürlich wissen, was er hier macht.«
»Und was hat Mifune dann getan?«
»Na ja, so wie ich es erzählt bekommen habe, von einer sehr glaubwürdigen Quelle, ist er seelenruhig den Hauptgang runtergelaufen. Hier und da ist er stehengeblieben, hat sich einen Oktopus oder eine Languste angeschaut. Die Händler sind alle vor ihm auf den Knien gerutscht. Jeder hat dem Typ angeboten, seine Ware zu probieren. Jeder wollte, dass Mifune bei ihm kauft. Die meisten hätten ihm das Zeug umsonst mitgegeben, nur damit er mit einer ihrer Tüten unterm Arm über den Carreau läuft.«
»Und, hat er was gekauft?«
»Nein, er war zu allen sehr freundlich und hat die ganze Zeit fein gelächelt, aber er ließ sich auf nichts ein. Und dann kam er hierher, zu den Thunständen. Er war nicht bei mir, sondern er ist direkt gegenüber zu Pombal gegangen. Und dort hat er sich auch tatsächlich die Ware vorgenommen.«
»Wie, vorgenommen?«
»Na ja, die Kunden wollen manchmal mehr von einem Fisch sehen, als eigentlich üblich ist. Hier hinten«, er zeigte auf die Schwanzflosse eines Yellowfins, der vor ihm in einer großen Styroporkiste lag, »gibt es immer einen Schnitt, damit der Kunde das Fleisch prüfen kann. Aber einigen Köchen, meistens sind es diese pingeligen Sushichefs, reicht das nicht. Die wollen selber einen Schnitt an einer anderen Stelle setzen.«
»Und dürfen sie?«
»Nein, verdammt! Wo kämen wir da hin? Wenn du ein neues Auto kaufen willst, darfst du auch nicht mit der Flex die Seitentür aufsägen, um mal ein bisschen genauer zu gucken.« Rimet nahm einen Schluck aus einem riesigen Isolierbecher, bevor er fortfuhr. »Aber das hier war eine Ausnahmesituation, mein Junge. Das war Mifune. Der Mifune. Und als er einen von Pombals Fischen anschneiden wollte, tja, was sollten die schon sagen? Zumal zu diesem Zeitpunkt bereits die halbe Halle zuschaute, da blieb ihnen kaum eine Wahl.« Rimet rückte seine Baseballkappe zurecht. Auf der Vorderseite war ein sich windender Fisch an einer Angelleine zu sehen. Darunter stand: »I’m out for trout«. »Ab hier wird die Sache ein wenig bizarr.«
»Inwiefern?«
Der Bretone lehnte sich über eine Kiste mit Bonitosnach vorne und senkte seine Stimme, als bedürfe das Finale seiner Geschichte allergrößter Diskretion.
»Also, das hier habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen: Mifune, er geht zu einem großen Bluefin, wohl an die 250 Kilo. Dann zieht er so ein unglaublich teuer aussehendes japanisches Messer aus der Tasche und bedeutet dem Händler schweigend, er wolle da mal ein bisschen schnippeln. Alle Leute an den Ständen haben inzwischen aufgehört zu tun, was sie eigentlich tun sollten und gaffen den Pombal-Mann an. Der Typ stammelt ›Natürlich, Monsieur Mifune.‹ Und dann nimmt der Japaner sein Messer und macht am Bauch einen fingerlangen Schnitt.«
»Was ist daran so
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