Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Sonnenbrille. Folglich war kein einziger Quadratzentimeter des durchaus aparten Gesichts im Originalzustand zu sehen. Alles wurde von Schichten aus Seide und Make-up kaschiert.
Trotzdem erkannte der Koch sie sofort, denn er hatte sie erst zehn Minuten zuvor auf einem Foto in der »Paris Match« gesehen. Aimée Allégret war die jüngere Schwester des Bürgermeisters. Sie arbeitete als Staatssekretärin im Bercy, dem französischen Finanzministerium, und hatte dem Artikel zufolge »mit ihren nur 36 Jahren eine Blitzkarriere hingelegt, wie sie ohne einflussreiche Freunde oder Verwandte kaum vorstellbar wäre«.
Er schüttelte ihr die Hand. »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, Madame. Wo sollen wir uns hinsetzen?«
Sie deutete auf einen Tisch in der Ecke des Saales und lief darauf zu. Kieffer folgte ihr. Als sie sich gesetzt und Kaffee bestellt hatten, begann er: »Monsieur Allég …«, doch sie unterbrach ihn, indem sie einen Finger auf ihre blutroten Lippen legte.
»Verzeihung, Madame. Wie indiskret von mir. Darf ich Sie denn bei Ihrem richtigen Namen nennen?«
Sie nahm die Sonnenbrille ab und schaute ihn misstrauisch an. »Er hat Ihnen gesagt, wer ich bin?«
»Nein. Aber Ihr Bild ist in der neuen ›Paris Match‹.«
Sie zog die Mundwinkel nach unten. »Das wusste ich noch nicht. Eigentlich sollte man als Staatssekretär weitgehend unsichtbar bleiben, das Licht der Öffentlichkeit ist eher etwas für Minister.« Sie senkte ihre Stimme etwas. »Diese Schweine wollen nicht nur meinen Bruder fertigmachen, sondern am liebsten gleich unsere ganze Familie. Deshalb war ich auch bereit, das Risiko einzugehen, mit Ihnen zu sprechen. Wir müssen die Sache so rasch es geht aus der Welt schaffen.«
»Ich werde Ihnen helfen, so gut ich kann. Der Bü… ich meine natürlich: unser gemeinsamer Freund hat mir berichtet, es gebe eine Verbindung zwischen Ryuunosuke Mifune und José Trebarca Silva. Und dass Sie mehr darüber wissen.«
Sie nickte unmerklich und setzte ihre Sonnenbrille wieder auf. Das Marly besaß fast fünf Meter hohe Decken, die Fenster waren größtenteils von schweren Vorhängen verdeckt. Es war gerade hell genug, um das Essen halbwegs erkennen zu können. Kieffer nahm an, dass Aimée Allégret ihn durch die tiefschwarzen Gläser bestenfalls schemenhaft wahrnahm.
»Es gibt, es gab, zwischen den beiden Geschäftsbeziehungen.«
»Welcher Art?«
»Lassen Sie mich etwas ausholen. Wie Sie wissen, arbeite ich für das Finanzministerium. Die uns unterstellten Steuerermittler interessieren sich bereits seit einiger Zeit für die Finanzen von Herrn Trebarca Silva. Ich bin nicht persönlich mit dieser Untersuchung betraut, aber als … unser Freund mich um Hilfe bat, konnte ich die entsprechenden Informationen rasch beschaffen.«
»Wie?«
»Ich habe kompletten Zugriff auf die Dateien des Bercy. Und über Mifune und Trebarca Silva hatten wir etwas. Wir haben fast über jeden etwas.«
»Wieso hat der französische Fiskus Informationen über einen Luxemburger Staatsbürger im Archiv?«
»Weil Ihr Landsmann hier mehrere Firmen besitzt. Er ist, wie Sie vielleicht wissen, europaweit tätig und wir verdächtigen ihn«, sie senkte ihre ohnehin schon gedämpfte Stimme noch weiter, sodass Kieffer sie kaum noch verstehen konnte, »der Steuerhinterziehung, Bilanzfälschung und möglicherweise der Insolvenzverschleppung. Es geht um beträchtliche Summen.«
Kieffer pfiff durch die Zähne. »Dann sind Sie ja schon die zweiten, die hinter dem Mann her sind.«
Sie schaute ihn an, möglicherweise verwundert – Make-up und Brille verhinderten eine treffsichere Deutung ihrer Mimik. »Wer denn noch?«
»Wenn Sie seine Finanzen kennen, dann wissen Sie sicherlich, dass er vor Spanien Fischfarmen besaß.«
»Ja, das ist mir bekannt.«
»Nach meinen Informationen«, fuhr Kieffer fort, »musste er diese schließen. Schmuggel, Subventionsbetrug und andere Dinge werden ihm angeblich vorgeworfen.«
»Das würde seine finanziellen Probleme erklären.«
»Hat er welche?«
»Oh ja. Anscheinend gehen seine Umsätze – ein umfassendes Bild seiner Vermögenslage besitzen unsere Steuerfahnder nicht, denn er arbeitet mit einer recht komplexen Schachtelkonstruktion aus Briefkastenfirmen – seit einiger Zeit stark zurück. Das Einzige, was noch gut zulaufen scheint, ist Pombal Foods, sein Fischgroßhandel. Es könnte sein, dass seine Kosten stark gestiegen sind, so genau wissen wir das nicht. Auf jeden Fall sehen wir, dass
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