Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Kieffer lieferte Valérie Gabin an dem kleinen Flughafen östlich des Kirchbergs ab. Am liebsten wäre er gleich mitgeflogen und in Paris auf den Großmarkt gegangen, aber das »Deux Eglises« verlangte in den kommenden Tagen seine verstärkte Aufmerksamkeit. Obwohl er Claudine vor einiger Zeit zur Souschefin ernannt hatte und sie ihren Job seiner Ansicht nach höchst passabel erledigte, konnte er es sich nicht leisten, in seinem Restaurant weitere Tage zu fehlen. Die Feriensaison stand vor der Tür und es gab viel zu tun – vor allem musste er allmählich darangehen, seine Menükarte für die Sommermonate fit zu machen. Beliebte Luxemburger Klassiker wie Tierteg oder Judd mat Gaardebounen hatte er zwar ganzjährig auf der Karte; doch in Wahrheit wollten im Juli selbst eingefleischte Fans moselfränkischer Küche keine Sauerkrautpfanne essen, geschweige denn Schweinsnacken mit Saubohnen. Frischere, leichtere Küche musste auf den Tisch – Salem mat Sauerampelzooss, Lachs in Sauerampfersoße;frischgebackene Quiche; Coq au Riesling und knackige Salate.
Kieffer fuhr vom Flughafen direkt zu seinem Lokal. Es war jetzt halb zehn, in der Küche herrschte Stille, lediglich ein Vorbereitungskoch war dabei, verschiedene Fonds aufzusetzen und Gemüse zu schneiden. Eine gute Zeit also, um sich mit der Menüfrage zu beschäftigen. Die Sommerkarte hätte er im Prinzip zwar ohne nachzudenken niederschreiben können, er hatte sogar schon zwei neue Rezeptideen, die er auch bereits ausprobiert hatte. Zum einen eine bavette de boeuf, gratiniert mit Saint Marcellin, zum anderen eine hausgemachte Wildschweinterrine mit Nüssen und Trockenfrüchten, die er mit einem Fenchelsalat zu servieren gedachte. Ideen waren nie das Problem, das Schwierige am Zusammenstellen einer funktionierenden Restaurantkarte war die Kalkulation. Als Faustregel galt, dass man eine Zutat, die im Einkauf mit einem Euro zu Buche schlug, für 3,50 Euro wieder losschlagen musste. Das Rindersteak, so wie er es im Sinn hatte, musste mit einem ganzen Saint-Marcellin-Käse überbacken werden. Der kostete im Großhandel etwa zwei Euro. Damit lag das Gericht bereits bei sieben Euro, noch bevor das Fleisch oder die anderen Beilagen überhaupt eingerechnet waren. Dieser Umstand konnte seiner Idee leicht den Garaus machen – wenn er nicht ein oder zwei andere Gerichte auf die Karte setzte, deren Zutaten so billig waren, dass sie den Marge fressenden Marcellin ausglichen. Der teure Käse konnte beispielsweise dazu führen, dass zwei oder drei andere Hauptgänge kostspielige Beilagen wie Pfifferlinge, Spargel oder Zucchiniblüten einbüßten und stattdessen mit dem größten Gewinnspannenmaximierer serviert wurden, den die Gastronomie kannte: Pommes frites. Kieffer war sich noch nicht sicher, ob ihm der Marcellin das wert war.
Er besorgte sich zuerst einen verlängerten Espresso und brütete dann in seinem Büro zwei Stunden über der Karte. Er telefonierte mit mehreren Großhändlern, ließ sich Angebote faxen und kalkulierte Preise. Als er mit dem Ergebnis halbwegs zufrieden war, tippte er es noch einmal ab und beschloss, es zunächst Claudine vorzulegen, um ihre Meinung zu erfahren. Er war gerade dabei, den Menüentwurf auszudrucken, als sein Handy den Eingang einer Nachricht ankündigte. Da Valérie Gabin der einzige Mensch war, der ihm SMS schickte, griff er sofort nach dem Telefon. Zu seinem Erstaunen kam die Nachricht jedoch von jemand anderem.
»Sie wird dich am Donnerstag um 15 Uhr im Café Marly treffen. Sie weiß, wie du aussiehst. – F.«
François Allégret hatte für ihn also tatsächlich einen Termin mit jener Informantin organisiert, die etwas über Mifunes Beziehung zu Trebarca Silva wusste. Das war erfreulich, die damit verbundene Heimlichtuerei ärgerte ihn jedoch maßlos. Kieffer zündete sich eine Ducal an. Er schaute auf das Display. Wer immer die Dame auch sein mochte, sie hatte, bei aller Geheimniskrämerei, offensichtlich einen gewissen Sinn für Dramatik und Grandezza. Das Marly war eines der schönsten Cafés in Paris, es lag direkt im Innenhof des Louvre. Kieffer überlegte, Allégret anzurufen, ließ es dann aber bleiben. Es sah so aus, als ob er in drei Tagen wieder nach Paris führe. Valérie würde er diesmal wohl nicht treffen können – sie musste in dieser Woche, das hatte sie ihm erzählt, nach London, um dem Starkoch Heston Blumenthal irgendeinen Preis zu verleihen. Warum der Mann diese Trophäe brauchen sollte, war Kieffer freilich
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