Rotes Pferd mit schwarzer Mähne
drüben auf der Bahn.
Jimmy fragte Tom, ob ihm die Kälte etwas ausmache. Der Junge schüttelte den Kopf.
«So, dann steig ein und versuch’s!» befahl Jimmy kurz.
Tom fand sich gräßlich ungeschickt, als er den Sulkysitz erklomm. Steif und gespannt starrte er auf die schwarzen Hinterschenkel und auf Symbols langen Schweif direkt vor seinen Augen.
«Jetzt faß die Handgriffe!» rief Jimmy, und Toms Hände bewegten sich suchend, bis er die Handschlaufen in den Leinen gefunden hatte. «Hast du das Ende der Leinen unter deinen Sitz geschoben? Du willst sie ja wohl nicht hinter dir herschleifen lassen!»
«Ich sitze ganz fest darauf!» sagte Tom fast gekränkt.
«Dann fahre jetzt los! Denke daran, daß Symbol hartmäulig ist. Du mußt also fest zupacken, ohne zu reißen. Laß ihn sechs Runden leicht traben!»
Tom lenkte Symbol auf die Bahn, das federleichte Gefährt hüpfte über die hartgefrorenen Wagenspuren. Symbols Schenkel und Hinterbeine bewegten sich immer schneller. Tom spürte die Kälte nicht. Es überkam ihn ein neues, überraschendes Gefühl, als er auf das vor ihm trabende Pferd starrte. Er beugte sich nach rechts und links aus dem Sulky, um festzustellen, ob die Bahn frei war, dann lockerte er die langen Leinen etwas.
Er war noch gar nicht weit gekommen, als er sich freudig bewußt wurde, daß er mit den Leinen umgehen konnte. Ebenso überrascht war er, als er tatsächlich Symbols Maul durch die Leinen fühlen konnte, und seine steife Haltung entspannte sich.
Als sie an Jimmy und Georg vorüberkamen, die trotz der Kälte auf ihrem Beobachtungsposten ausgeharrt hatten, rief Jimmy: «So ist’s richtig! In diesem Tempo halte ihn!»
Symbol wollte jetzt schneller laufen, aber Tom machte ihm durch die Leinen deutlich, daß er es nicht erlaubte. Der Ruck in der richtigen Sekunde, so lernte er, war alles, was nötig war, um das Pferd unter Kontrolle zu halten.
Nachdem sie die Hälfte der vorgeschriebenen Distanz zurückgelegt hatten, hielt er nach den anderen trainierenden Pferden und Fahrern Ausschau. Drüben, am anderen Ende, erblickte Tom den gegenwärtig einzigen zweijährigen Traber auf dieser Bahn. Hinter ihm im Sulky saß eine Frau, Miß Elsie Topper, warm verpackt in ihren Waschbärpelz. Sie war eine Pferdenärrin und sehr wohlhabend. Anzumerken war es ihr freilich nicht, ihre Lebenshaltung war äußerst bescheiden. Sie kam jeden Morgen, bei jedem Wetter, in einem offenen Jeep auf die Bahn gefahren. Die Rennbahn, die Stallgebäude und das stattliche weiße Haus oben auf dem Hügel gehörten ihr. Ihr Vater hatte einst die Bahn gebaut, und als er starb, hinterließ er ihr Pferde und dazu die Kohlenbergwerke auf der anderen Seite des Städtchens Coronet. Miß Elsie hatte nicht das geringste Interesse an Kohlen, um so mehr aber an Pferden; sie mochte ungefähr vierzig Jahre alt sein. Sie hielt zehn Pferde in zwei Stallgebäuden, und jedes trainierte sie selbst, obwohl sie genug Pferdepfleger beschäftigte. Ihr berühmter Deckhengst hieß «Mister Guy»; vor zehn Jahren hatte sie ihn sehr oft zum Sieg gefahren. Ihr Ehrgeiz war es, von ihm einmal einen Sohn oder eine Tochter aufzuziehen, die seine hervorragenden Eigenschaften geerbt hatten. Sie gab ständig hohe Summen für ebenbürtige Zuchtstuten aus, aber es war ihr in all den Jahren noch nicht geglückt, ein seinem Vater ebenbürtiges Pferd zu züchten.
Alle Fahrer liebten Miß Elsie, sie gehörte zu ihnen, sie verstand ihre Geldsorgen, obwohl sie selbst nie welche gekannt hatte. Zwar lieh sie ihnen niemals Geld, aber sie half auf andere Weise. Sie berechnete monatlich nur einen Dollar für die Benutzung der Bahn und der Ställe. Sie gab den Fahrern Heu fast umsonst. Am einen Ende der Bahn hatte sie ein Haus bauen lassen, in dem sich die Fahrer aufhalten und ausruhen, ja, sogar wohnen konnten.
Tom umrundete die Bahn zum vorletzten Mal, als Miß Elsie ihren jungen Traber an seine Seite lenkte. «Freut mich, dich im Sulky zu sehen!» rief sie ihm zu.
«Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit!» rief Tom zurück. «Ich habe riesigen Spaß daran!»
Miß Elsie schnippte mit den Leinen, und ihr Pferd beschleunigte sein Tempo. Symbol strebte voller Eifer hinterher, aber Tom gelang es, ihn zurückzuhalten.
Nach der letzten Runde kehrte er in den Stall zurück. Jimmy sagte: «Du hast dich weit geschickter angestellt, als ich erwartet hatte!» Dabei nahm er die Hände des Jungen in die seinen, drehte die Handflächen nach oben und klopfte sie leicht.
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