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Roth, Philip

Titel: Roth, Philip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nemesis
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hatte. Und jetzt bist du hier, und ich bin vollkommen glücklich. Und daraus hast du einen Streit gemacht. Warum willst du dich mit mir streiten, wenn wir uns wochenlang nicht gesehen haben?«
    »Ich will mich nicht mit dir streiten«, sagte er.
    »Dann tu es auch nicht«, sagte sie, mehr verwirrt als wütend.
    Die ganze Zeit hatte es regelmäßig gedonnert, und die Blitze flackerten jetzt näher.
    »Wir sollten zurückfahren«, sagte sie, »solange das Gewitter noch eine Weile entfernt ist.«
    »Aber wie kann ein Jude zu einem Gott beten, der einem Viertel mit Tausenden und Abertausenden von Juden einen solchen Fluch auferlegt hat?«
    »Ich weiß es nicht! Worauf willst du eigentlich hinaus?«
    Er fürchtete sich plötzlich, es ihr zu sagen, er fürchtete, wenn er weiter darauf beharrte, ihr begreiflich zu machen, was er selbst begriffen hatte, würde er sie und ihre Familie verlieren. Sie hatten sich nie gestritten. Nie war er bei ihr, seiner ihn liebenden Marcia, auf irgendeine Art von Widerspruch gestoßen - ebenso wenig wie sie bei ihm übrigens. Er war im Begriff, ihre Liebe zu zerstören, und zügelte sich gerade noch rechtzeitig.
    Gemeinsam zogen sie das Kanu ins Wasser, und im nächsten Augenblick paddelten sie schweigend und eilig zurück zum Camp und erreichten es, bevor der Wolkenbruch begann.
     
    Donald Kaplow und die anderen Jungen schliefen, als Bucky in die Comanche-Hütte trat und durch den schmalen Mittelgang zwischen den Spinden ging. So leise wie möglich schlüpfte er in den Pyjama, verstaute sein Zeug und legte sich in das Bett, das er nach seiner Ankunft mit Irv Schlangers Laken bezogen hatte. Marcia und er hatten sich nicht unbeschwert voneinander verabschiedet. Er spürte noch immer die Spannung, die zwischen ihnen gewesen war, als sie sich am Steg des Mädchencamps eilig geküsst hatten und in verschiedene Richtungen zu ihren Hütten gegangen waren, jeder in der Sorge, ihrem ersten Streit könnte etwas anderes zugrundeliegen als eine Meinungsverschiedenheit über Gott.
    Der Regen begann auf das Dach zu prasseln. Bucky lag wach im Bett und dachte an Dave und Jake, die in Frankreich in einem Krieg kämpften, von dem er ausgeschlossen war. Er dachte an Irv Schlanger, der in den Krieg gezogen war und gestern Nacht noch in diesem Bett geschlafen hatte. Immer wieder schien es, als wären alle außer ihm im Krieg. Ein anderer hätte es als Glücksfall empfunden, dem Gefecht und dem Blutvergießen zu entgehen, doch für ihn war es ein Makel. Er war von seinem Großvater zu einem furchtlosen Kämpfer erzogen worden, er war aufgewachsen mit dem Anspruch, ein überaus verantwortungsbewusster Mann zu sein, jederzeit bereit und imstande, für das Rechte einzutreten, und jetzt, da der Kampf des Jahrhunderts tobte, ein weltweiter Kampf zwischen Gut und Böse, konnte er nicht einmal den kleinsten Beitrag leisten.
    Und doch - es gab einen Krieg, in dem er kämpfen konnte, und er wurde auf dem Schlachtfeld seines Sportplatzes geführt. Er war aus diesem Krieg desertiert und zu Marcia geflohen, in die Sicherheit von Camp Indian Hill. Wenn er schon nicht in Europa oder im Pazifik kämpfen konnte, dann hätte er wenigstens in Newark bleiben und seinen gefährdeten Jungen in ihrer Angst vor der Kinderlähmung beistehen können.
    Statt dessen war er in diesem sicheren Hafen; statt dessen hatte er beschlossen, Newark zu verlassen und in ein Sommerlager zu fahren, das unzugänglich in den Bergen lag, abgeschieden von der Welt, am Ende einer schmalen, unasphaltierten Straße, in dichtem Wald und daher auch aus der Luft nicht zu entdecken - und was tat er hier? Er spielte mit Kindern. Und war glücklich dabei! Und je glücklicher er war, desto demütigender war es.
    Trotz des Regens, der auf das Dach trommelte und die Spielfelder und Wege in Matsch verwandelte, trotz des Donnergrollens, das von den Bergen widerhallte, und der Blitze, die ringsum niederzuckten, regte sich keiner der Jungen in den zwei Bettenreihen. Diese schlichte, gemütliche Hütte mit ihren Schulwimpeln und bemalten Kanupaddeln, ihren Spinden voller Aufkleber und schmalen Betten, unter denen Schuhe, Turnschuhe und Sandalen ordentlich aufgereiht standen, ihren ruhig schlafenden, kräftigen und gesunden Jungen schien ihm vom Krieg - von seinem Krieg - so weit entfernt wie nur möglich. Er hatte die unschuldige Liebe seiner beiden zukünftigen Schwägerinnen, er hatte die leidenschaftliche Liebe seiner zukünftigen Frau, er hatte einen Jungen wie

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