Roth, Philip
neue Fälle, dreißig davon in Weequahic, darunter drei Jungen vom Sportplatz. Zwei sind im Krankenhaus, einer ist gestorben. Ronnie Graubard. Flink, intelligent, voller Energie. Und jetzt ist er tot.«
Marcia nahm seine Hand. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Bucky. Es ist alles so schrecklich.«
Er ließ sich auf der Decke nieder, und sie setzte sich dicht neben ihn. »Ich weiß auch nicht, was ich sagen soll«, antwortete er.
»Sollte man nicht die Sportplätze schließen?«, fragte sie.
»Das haben sie ja. Sie haben alle Sportplätze geschlossen.«
»Wann?«
»Ab morgen. Der Bürgermeister hat es angeordnet, sagt meine Großmutter.«
»Ist es nicht auch am besten so? Das hätten sie schon längst tun sollen.«
»Ich hätte bleiben sollen, Marcia. Solange der Sportplatz noch geöffnet war, hätte ich nicht gehen dürfen.«
»Aber du bist doch gestern erst gekommen.«
»Ich bin gegangen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Es ist eine Tatsache: Ich bin gegangen.«
Er zog sie auf der Decke an sich. »Komm«, sagte er, »leg dich zu mir.« Er presste sich an sie. Sie hielten einander stumm umarmt. Er konnte nichts mehr denken oder sagen. Er war gegangen, während die Jungen hatten bleiben müssen, und nun waren zwei von ihnen krank, und ein dritter war tot.
»Ist es das, woran du denkst, seit du hier bist? Dass du gegangen bist?«
»Wenn ich in Newark wäre, würde ich jetzt zu Ronnies Beerdigung gehen. Wenn ich in Newark wäre, würde ich die Familien besuchen. Statt dessen bin ich hier.«
»Du kannst sie besuchen, wenn du zurück bist.«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Aber selbst wenn du geblieben wärst - was hättest du tun können?«
»Es geht nicht darum, etwas zu tun - es geht darum, dort zu sein! Ich sollte jetzt dort sein, Marcia! Statt dessen bin ich auf einer Insel in einem See in den Bergen.«
Sie hielten einander stumm umarmt. Es vergingen etwa fünfzehn Minuten. Bucky konnte nur an die Namen der Jungen denken und sah ihre Gesichter vor sich: Billy Schizer. Ronald Graubard. Danny Kopferman. Myron Kopferman. Alan Michaels. Erwin Frankel. Herbie Steinmark. Leo Feinswog. Paul Lippman. Arnie Mesnikoff. Er konnte nur an den Krieg denken, der in Newark tobte, und an die Jungen, die er im Stich gelassen hatte.
Es vergingen weitere fünfzehn Minuten, bis Marcia etwas sagte. »Sieh doch«, flüsterte sie, »die Sterne sind atemberaubend. Zu Hause sieht man nie so viele. Ich wette, es ist das erste Mal, dass du einen Nachthimmel mit so vielen Sternen gesehen hast.«
Er erwiderte nichts.
»Wenn sich die Blätter bewegen, kann man die Sterne sehen. Und die Sonne«, sagte sie einen Augenblick später, »hast du die Sonne gesehen, als sie vorhin untergegangen ist? Sie sah aus, als wäre sie ganz nah. Wie ein Gong, den man schlagen könnte. Alles dort oben ist so riesig«, sagte sie und versuchte noch immer naiv - und vergebens -, ihn davon abzuhalten, sich unwürdig zu fühlen. »Und wir sind so unendlich klein.«
Ja, dachte er, aber es gibt etwas, das noch kleiner ist als wir: das Virus, das alles zerstört.
»Hör doch mal«, sagte Marcia. »Hörst du das?« In der Gemeinschaftshalle hatte es einen bunten Abend gegeben, und die Jungen, die jetzt noch dort waren und aufräumten, hatten anscheinend eine Schallplatte aufgelegt, während sie leere Sodaflaschen aufhoben und den Boden fegten und die anderen mit ihren Betreuern in ihren Hütten verschwanden, um schlafen zu gehen. Von jenseits der dunklen Stille des Sees erklang ganz leise Marcias Lieblingslied in diesem Sommer. Es war das Lied, das in der Jukebox bei Syd's gespielt hatte, als Bucky bei Alans Familie gewesen war, um ihr sein Beileid auszusprechen, und von Yushi, dem Mann hinter der Theke, erfahren hatte, dass auch Herbie gestorben war.
»I'll be seeing you«, sang Marcia ihm leise ins Ohr, »in all the old familiar places ...« Sie stand auf und zog ihn hoch, und weil sie nicht zulassen wollte, dass seine Stimmung noch weiter sank, und nicht wusste, was sie sonst hätte tun können, schlang sie die Arme um ihn und begann zu tanzen.
»That this heart of mine embraces«, sang sie, den Kopf an seine Brust gelegt, »all day through ...«, und auf dem langen through hob sie anmutig die Stimme.
Gehorsam drückte er sie an sich, tanzte mit ihr auf der Mitte ihrer kleinen Lichtung langsam auf der Stelle und dachte an jenen Abend Ende Juni, an den Vorabend ihrer Abreise nach Indian Hill, als sie, so eng wie jetzt, auf der Veranda ihres
Weitere Kostenlose Bücher