Rotkäppchens Rache
hatte offenbar Erfahrung in diesen Dingen. Er warf das Kind in die Luft und fing es auf, und nach ein paar weiteren Würfen kicherte der Kleine wieder.
Die Teppiche im Zelt dämpften die nahenden Schritte. Behutsam ließ sich Faziya nieder und verschränkte die Beine unter sich. Sie reichte Talia eine Schale mit Brot und frischen Oliven. »Iss!«
Talia steckte sich eine Olive in den Mund. Sie spuckte den Kern in die hohle Hand und legte ihn die Schale zurück, ohne die Augen auch nur einen Moment von der Szene am Teich abzuwenden.
»Manchmal vermisse ich die Wüste«, sagte Faziya. »Die freie Natur. Das von Elfenmagie unberührte Wasser. Die Tierlaute in der Nacht. Die Stadt ist so überfüllt, so voller Fremder.«
»Trotzdem bist du in Jahrasima geblieben.«
Faziya blickte auf den Teich hinunter. »Als ich ein Kind war, sah ich mit an, wie meine Mutter an der Siphonkrankheit starb. Im Verlauf einer einzigen Jahreszeit verfiel ihr Körper, bis sie nur noch so viel wog wie ein Kind. Sie wurde von Durst gepeinigt, doch ihr Körper entledigte sich der Flüssigkeiten so schnell, wie sie trinken konnte. Ich blieb bei ihr und brachte ihr Wasser und alles andere, von dem ich dachte, es könnte helfen. Nichts half. Sie wurde immer müder, bis sie eines Tages einfach nicht mehr aufwachte. Ich dachte, wenn wir sie zum Tempel der Hecke gebracht hätten, hätte sie vielleicht überlebt.«
Talia legte die Hand auf Faziyas Rücken.
»Es gibt keine Heilung für die Siphonkrankheit«, fuhr Faziya mit abwesender Stimme fort. Nachdem ich den Stamm verlassen hatte, war ich eine Massim. Eine Fremde. Viele Male während meines ersten Jahrs im Tempel dachte ich daran, mich allein aufzumachen. Es gibt Geschichten von stammlosen Kha’iida, die durch die Wüste ziehen. Aber ich fand heraus, dass, auch wenn ich meine Mutter nicht hätte retten können, Freude und Sinn darin lagen, andere zu retten.«
»Für lange Zeit, nachdem ich in Lorindar angekommen war, pflegte ich mich nach unten zu schleichen und zu versuchen, Schnees Spiegel zu benutzen«, gestand Talia. »Jede Nacht versuchte ich, ihn dazu zu bringen, mir Arathea zu zeigen, nur um meine Heimat noch einmal zu sehen.«
»Hat es geklappt?«
»Nein.« Talia lächelte. »Mit der Zeit war ich so frustriert, dass ich damit drohte, das verdammte Ding mit einer Axt zu zertrümmern. Vielleicht hätte ich es auch getan, wenn Schnee mich nicht erwischt hätte.«
Sie drehte sich um und sah Schnee und Danielle an. Weil sie sonst nichts zu tun hatten, während sie auf Muhazil und seine Seherin warteten, hatten sie den Nachmittag damit verbracht, bei den Tieren zu helfen. Danielle jedenfalls half. Unter ihrer Anleitung warteten Kamelstuten geduldig darauf, gemolken zu werden. Schnee flirtete unterdessen mit einem der Schäfer, wenn sie nicht gerade für Danielle übersetzte. Schnees Aratheanisch tat Talia in den Ohren weh, aber dem Gesichtsausdruck des Schäfers nach zu gehen, fand er ihren Akzent bezaubernd.
Faziya lehnte sich an sie und legte den Kopf auf ihre Schulter. »Sie ist schön, aber ist sie nicht ein bisschen zu alt für dich?«
Talia verkrampfte und schaute weg, wobei sie sich Mühe gab, die Bewegung beiläufig aussehen zu lassen. »Wen meinst du?«
»Lüg mich nicht an, meine Prinzessin.« Faziya küsste sie auf den Hals. »Ich kenne diesen Blick.«
Mit brennendem Gesicht seufzte Talia. »Genau genommen ist Schnee sogar jünger als ich. Ihr Alter … ist schwer zu erklären. Sie und ich sind kein - Sie war die Erste, mit der ich in Lorindar echte Freundschaft geschlossen habe. Die Einzige, für lange Zeit.«
»Aber mehr nicht?«, fragte Faziya.
»Nein.«
Faziya rückte von ihr ab und schien diese Information abzuwägen. »Gut.«
Lächelnd richtete Talia ihre Aufmerksamkeit wieder auf Schnee und ließ jetzt jeden Anschein von Subtilität fahren. »Bis letztes Jahr dachte sie, ich wäre einfach zu schüchtern, um über meine Liebesverhältnisse mit den Männern im Palast zu reden. Als sie erst einmal die Wahrheit erfuhr … Sie ist Allesandrianerin. Ihr Volk ist weniger tolerant in solchen Dingen.«
»So war es auch in Arathea, in alten Zeiten.« Faziya küsste sie noch einmal. »Bevor die Elfen unsere Gesellschaft den Pfad von Korruption und Verderbtheit entlangführten.« Als sie sich losmachte, schaute ihr der Schalk aus den Augen. »Das ist es doch, was die Menschen in anderen Ländern von uns sagen, oder?«
»Manche schon«, gab Talia zu. Verglichen mit den
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