Rotkäppchens Rache
Grimasse, als sie durch den Korridor schritt und dabei mit einer Hand das Seil umfasste, das um Roudettes Hals gebunden war. Sie kamen an den Bädern und mehreren Vorratsräumen vorbei, bevor sie schließlich von einem jungen Mann in einer ärmellosen weißen Tunika mit rotem Besatz angehalten wurden, der ein gewaltiges Bündel schmutziger Kleidung trug.
Beim Anblick Roudettes in ihrer Wolfsgestalt machte er einen Satz zurück. »Wer seid ihr?«
»Dieses Tier ist ein Geschenk für die Raikh«, sagte Talia. »Wo können wir sie finden?«
Der Mann verlagerte seine Last. »Ihr seid ja klatschnass! Was ist passiert?«
»Habt Ihr mal versucht, einen Wolf zu baden?«, wollte Talia wissen. »Glaubt mir, die Raikh wäre äußerst ungehalten, wenn wir ihr dieses Tier so stinkend geliefert hätten, wie es vorher war!«
Roudette drehte den Kopf und knurrte Talia an. Der Diener wich zurück und Talia machte sich die Lücke zunutze, um Roudette einen weiteren Schritt Richtung Treppe zu ziehen. Roudette wehrte sich und Talia musste das Seil mit beiden Händen packen, um nicht loszulassen. Danielle ergriff das Seil ebenfalls und half Talia. Roudette zog eine gute Schau ab - wenigstens hoffte Talia, dass es nur Schau war. »Ich komme mit diesem Tier von weit her und möchte es wirklich gern loswerden. Wo hält sich die Raikh um diese Tageszeit normalerweise auf?«
»In ihrem privaten Speisezimmer«, stotterte der Mann, ohne die Augen auch nur einen Moment lang von dem schwarzen Wolf zu nehmen.
»Danke. Und der Garten?«
Er beschrieb ihnen hastig den Weg zu beidem und eilte an ihnen vorbei.
Talia folgte seinen Angaben und führte Roudette zu der Wendeltreppe am Ende des Korridors. Eine Marmorsäule schob sich durch die Mitte der Treppe nach oben; in kleinen Säulennischen brannten Dutzende von Kerzen, die völlig normal aussahen bis auf den Grünstich der Flammen, die im Luftzug tanzten. Als sie die Treppe emporstieg, konnte Talia sehen, dass jede Kerze tatsächlich aus weißem Stein gemeißelt war. Noch mehr Elfenmagie.
Talia ging eilig durch den ersten Stock und steuerte den Garten an. Als sie am ersten der zahlreichen schmalen Fenster in der Außenmauer vorbeikam, blinzelte sie: Die Sonne draußen war überraschend hell.
»Was hast du mit Rajil vor?«, fragte Schnee.
»Es gibt nur eine Bestrafung für eine Raikh, die ihr Volk und ihre Stadt verrät.« Es war eine Bestrafung, die nur selten zur Anwendung kam. Jede Raikh legte ein Gelübde ab, mit dem sie sämtliche Familienbande durchtrennte und den König oder die Königin von Arathea als Oberhaupt ihrer neuen Familie akzeptierte. Raikhs führten ihr Leben in der Stadt, deren Grenzen sie nie verließen außer auf direkten Befehl des Königs oder der Königin. Die Bewohner der Stadt wurden zu ihren Kindern, und von der Raikh wurde erwartet, sie so grimmig zu beschützen, wie alle Eltern es mit ihren Kindern taten. Aber Talia brauchte sich nur Schnees Vergangenheit vor Augen zu halten, um daran erinnert zu werden, dass nicht für alle Eltern das Wohlergehen ihrer Kinder an erster Stelle stand. »Wir werden uns um sie Gedanken machen, sobald wir Faziya gefunden haben.«
Am Ende der Treppe führte eine Tür auf einen offenen Laufgang: Sie befanden sich in einem der Flügel der Villa. Am anderen Ende des Laufgangs konnte Talia eine weitere Treppe sehen, die nach oben zu den Gärten auf dem zentralen Teil des Gebäudes führte. Zwei Wachen standen an der untersten Stufe, gerade weit genug hinten, um vor der Sonne geschützt zu sein.
Anders als die Wachen draußen trugen diese die offizielle Rüstung mit lackierten schwarzen Brustharnischen. Ihre Köpfe waren rasiert, sogar die Augenbrauen. Die Augen wurden von blauen Tätowierungen verdunkelt, wodurch der Eindruck von gefiederten Masken hervorgerufen wurde.
»Solche Tätowierungen habe ich noch nie gesehen«, flüsterte Schnee.
»Rajil ist eine Elfenanbeterin«, entgegnete Talia. »Die Flügel sind ein Symbol der Peri.« Noch ein Zeichen, wo ihre wahre Loyalität lag.
Beide Männer beobachteten sie scharf, als Talia Roudette auf den Laufgang zog. Sie trugen gewaltige Krummsäbel an den Seiten, zusammen mit praktischeren Streitkolben.
Roudette zerrte am Seil.
»Noch nicht!« Falls Roudette sich wirklich losreißen wollte, wäre Talia nicht stark genug, um sie zu halten. »Das ist ein beschissener Ort für einen Kampf.« Talia warf einen Blick über das Steingeländer: Der Sturz würde sie nicht umbringen, aber er
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