Rotkäppchens Rache

tauchte tief herab - und schoss einen Moment später wie eine Meerjungfrau nach oben und hielt sich an den Steinen am Grund des Brunnens fest. Mit strampelnden Füßen zog sie sich höher. Kurze Zeit später hörte Schnee das Klappern von Metall vom oberen Ende des Brunnens.
    »Was ist los?«, fragte Danielle.
    Talia fiel aus dem Brunnen und tauchte fast ohne einen Spritzer im Wasser ein, kam wieder an die Oberfläche und strich sie sich die Haare aus dem Gesicht. »Sie haben ihn zugeklinkt. Die meisten Leute machen sich diese Mühe nicht, weil die Goblins nicht stark genug sind, um nach oben zu klettern. Es ist wahrscheinlich ein einfacher Riegel aus Metall, aber der Brunnenrand hindert mich daran, ihn zu erreichen.«
    Schnee lächelte und schwamm näher heran. Diesmal verlor sie kein einziges Wort über die Vorzüge von Magie im Vergleich zu roher Gewalt, aber dem Verdruss in Talias Augen nach zu urteilen brauchte sie das auch nicht.
    Mit Talias Hilfe gelang es ihr, sich hochzuziehen. Nur die untersten Steine waren feucht, die übrigen trocken und leicht zu greifen, außer dort, wo das Wasser aus Talias Kleidern sie beim Hochklettern nass gemacht hatte. Aber selbst das fing bereits an zu trocknen. Die aratheanische Luft saugte das Wasser einfach aus allem.
    Schnee lehnte sich mit dem Rücken an die Brunnenwand und stemmte die Beine gegen die andere Seite. Die flachen Hände hinter den Rücken gepresst, drückte sie ein Knie durch und schob sich hoch.
    Während sie sich Stück für Stück nach oben arbeitete, stellten sich sehr bald Krämpfe in Füßen und Waden ein. Sie stemmte sich wieder mit beiden Beinen gegen die Wand und lockerte die Hände, um zu verhindern, dass mit ihnen dasselbe passierte. Bei Talia sah so was immer ganz einfach aus.
    Der Brunnen war fast zwei Stockwerke hoch - genug, um sie nervös zu machen, wenn sie nach unten schaute, obwohl die Enge darin es unwahrscheinlich machte, dass sie ausrutschte, und das Wasser ihren Sturz sowieso dämpfen würde.
    Die Brunnenabdeckung bestand aus Bronze; die Reliefs darauf stellten Sonne und Mond dar, die sich überlappten. Schnee horchte, hörte aber nichts von der anderen Seite. Falls allerdings die Abdeckung dick genug war, um oben den Lärm der Kloakengoblins auszusperren, würde sie dasselbe auch unten mit allen Geräuschen aus der Villa machen. Sie verlagerte ihr Gewicht auf die Beine und drückte gegen die Abdeckung, behutsam zuerst, dann, als sie sich nicht von der Stelle rührte, fester.
    Schließlich, mit versteiften Beinen und indem sie sich mit beiden Händen gegen die Abdeckung stemmte, gelang es ihr, die Bronzescheibe ein wenig anzuheben, ein Stück, ungefähr so breit wie ihr kleiner Finger, bevor sie sich nicht mehr weiter bewegen ließ. Nicht genug Platz, um einen Spiegel durchzuschmuggeln und den Verschluss zu untersuchen.
    »Die anderen Goblins werden nicht ewig wegbleiben!«, rief Talia von unten hoch.
    Schnee lehnte den Kopf gegen den Stein. Solange sie nicht versuchte zu klettern, war diese Stellung fast entspannend. Sie schloss die Augen, dann öffnete sie sie wieder und zwang sie, sich scharf einzustellen. Vor die Wahl gestellt, Stein oder Metall zu verzaubern, entschied sie sich für Ersteren, denn damit ließ sich etwas einfacher arbeiten. Keins von beidem war ein Vergnügen angesichts dessen, was sie heute schon alles getan hatte.
    Sie griff nach ihrem Messer, dann zögerte sie. Sie könnte den Stein altern und zu Sand zerfallen lassen, bis der Riegel, der die Abdeckung an Ort und Stelle hielt, sich lockerte und schließlich löste, aber bestimmt gab es einen einfacheren Zauber, einen, der ihrem jetzt schon dröhnenden Schädel nicht so sehr zusetzen würde.
    Vor einem Jahr hätte sie den Zauber ohne nachzudenken gewirkt. Sie hasste es, mit ihren Kräften haushalten und sich überlegen zu müssen, wie viel Magie sie einsetzen durfte, ohne dass Schmerzen sie überwältigten. Aber sie hatte den Bogen schon überspannt, und die Hand, die das Messer hielt, zitterte; nicht in Erwartung des Schnitts, sondern weil Schnee wusste, dass das, was als Nächstes kam, schlimmer war.
    »Verdammt!«, flüsterte sie. Sie drückte die Klinge auf ihre Hand und zwang sich, eine dünne Linie quer über den Handteller zu schneiden. Dann schlug sie die Hand auf die Abdeckplatte und murmelte die Zauberformel.
    Nichts geschah. Schnee biss die Zähne zusammen und drückte fester, bis sie die schwache Wärme von Elfenmagie spürte. Die Abdeckplatte war auch