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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Volvo, dachte Harry. Er zog sich die Decke über die Beine. Dann erzählte er die Geschichte von dem Mädchen und ihrem großen Bruder, jedenfalls so, wie er sie in Erinnerung hatte. Als er fertig war, weinte sie nicht mehr, und kurz nachdem er gute Nacht gesagt hatte, wurde die Verbindung abgebrochen.
    Als das Handy erneut klingelte, war es schon nach acht. Draußen war es hell. Harry fand es unter der Decke zwischen seinen Beinen. Es war Meirik. Er hörte sich gestresst an.
    »Komm sofort nach Oslo«, sagte er. »Es sieht so aus, als wäre deine Märklin-Waffe benutzt worden.«

 
     
     
     
    TEIL VII
     
    SCHWARZER UMHANG

 
    Reichshospital, 11. Mai 2000
     
    74 Harry erkannte Bernt Brandhaug sofort wieder. Er grinste breit und sah Harry mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Warum lächelt er?«, fragte Harry.
    »Frag mich nicht«, sagte Klementsen. »Die Gesichtsmuskeln werden steif und die Menschen kriegen die seltsamsten Gesichtsausdrücke. Manchmal haben wir Eltern hier, die ihre Kinder nicht wiedererkennen, weil die so verändert sind.«
    Der Operationstisch mit dem Leichnam stand mitten in dem weißen Obduktionssaal. Klementsen entfernte das Laken, so dass sie den Rest des Körpers sehen konnten. Halvorsen drehte sich abrupt weg. Er hatte die Riechcreme dankend abgelehnt, die Harry ihm angeboten hatte, bevor sie hineingegangen waren. Doch da es im Obduktionssaal Nummer 4 des Rechtsmedizinischen Instituts im Reichshospital gerade mal zwölf Grad warm war, war der Geruch auch nicht das eigentliche Problem. Halvorsen hustete und hustete.
    »Bin ganz Ihrer Meinung«, sagte Knut Klementsen. »Er ist kein schöner Anblick.«
    Harry nickte. Klementsen war ein guter Pathologe und ein verständnisvoller Mann. Er erkannte wohl, dass Halvorsen noch neu war, und wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen. Denn Brandhaug sah nicht schlimmer aus als die meisten Leichen. Das heißt nicht schlimmer als die Zwillinge, die eine Woche lang unter Wasser gewesen waren, der Achtzehnjährige, der mit zweihundert auf der Flucht vor der Polizei einen Unfall gebaut hatte, oder das Junkiemädchen, das sich nackt in ihrer Daunenjacke angezündet hatte. Harry hatte schon viel gesehen und Brandhaug gehörte sicher nicht zu den Top Ten auf der Liste der übelsten Anblicke. Aber eines war klar Dafür, dass er bloß von einer Kugel in den Rücken getroffen worden war, sah Bernt Brandhaug katastrophal aus. Die klaffende Austrittswunde in der Brust war so groß, dass Harry seine Faust hätte hineinstecken können.
    »Die Kugel hat ihn also in den Rücken getroffen?«, sagte Harry.
    »Genau zwischen den Schulterblättern, leicht von oben nach unten. Beim Einschlag hat sie die Wirbelsäule zertrümmert und beim Austritt das Brustbein. Wie du siehst, fehlen Stücke vom Brustbein; etwas davon hat man auf dem Autositz gefunden.«
    »Auf dem Autositz?«
    »Ja, er hatte gerade das Garagentor geöffnet, wollte wohl zur Arbeit, und die Kugel schlug durch ihn hindurch, durch die Windschutzscheibe des Wagens, dann durch die Heckscheibe und blieb in der hinteren Garagenwand stecken. Das wissen wir bis jetzt.«
    »Was für eine Kugel kann das sein?«, fragte Halvorsen, der sich anscheinend wieder gefangen hatte.
    »Das müssen uns die Ballistiker sagen«, erwiderte Klementsen. »Aber die hat sich wie ein Mittelding zwischen einem Dumdumgeschoss und einem Tunnelbohrer verhalten. Das einzige Mal, wo ich so etwas wie das hier gesehen habe, war während meines UN-Einsatzes in Kroatien 1991.«
    »Eine Singapur-Kugel«, sagte Harry. »Sie haben die Reste einen halben Zentimeter tief in der Wand gefunden. Die Hülsen, die sie im Wald entdeckten, waren von dem gleichen Typ wie die, die ich im letzten Winter in Siljan gefunden habe. Deshalb haben sie mich sofort angerufen. Was können Sie uns sonst noch sagen, Klementsen?«
    Es war nicht viel. Er berichtete, dass die Obduktion unter der vorgeschriebenen Anwesenheit der Kripobeamten bereits abgeschlossen sei. Die Todesursache sei offensichtlich, und ansonsten gebe es nur zwei Sachen, die einer Erwähnung wert waren – nämlich, dass Reste von Alkohol in seinem Blut waren und Scheidensekret unter seinem rechten Zeigefingernagel gefunden worden war.
    »Von seiner Frau?«, fragte Halvorsen.
    »Das sollen sie im Labor herausfinden«, sagte Klementsen und sah den jungen Polizisten über seine Brille hinweg an. »Wenn es sein muss. Wenn das für die Ermittlung keine Rolle spielt, ist es ja vielleicht nicht notwendig,

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