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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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kam und ging, von wo aus er am besten schießen konnte, um das geringstmögliche Risiko einzugehen, wie er dorthin und von dort wegkam und Hunderte solcher kleinen Details.«
    »Du meinst also, dass sich der Mörder für dieses Attentat die Waffe besorgt hat?«
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
    »Danke, das hat uns jetzt wirklich weitergebracht«, sagte Møller zornig.
    »Ich meine bloß, dass das plausibel wäre. Auf der anderen Seite stimmen die Proportionen nicht ganz. Es kommt mir ein bisschen übertrieben vor, der Welt teuerste Attentats-Waffe ins Land zu schmuggeln, um einen hohen, aber dennoch relativ gewöhnlichen Staatsbeamten aus dem Weg zu räumen, der weder einen Leibwächter hat noch sonst irgendwie bewacht wird. Der Mörder hätte ganz einfach an der Haustür klingeln und ihn aus nächster Nähe mit einer Pistole erschießen können. Das ist ein bisschen wie … wie …«
    Harry zeichnete Kreise mit der Hand.
    »Mit Kanonen auf Spatzen zu schießen«, ergänzte Halvorsen. »Genau«, sagte Harry.
    »Hm.« Møller schloss die Augen. »Und wie siehst du deine Rolle in den weiteren Ermittlungen, Harry?«
    »Eine Art Libero«, lächelte Harry. »Ich bin dieser Typ vom PÜD, der solo unterwegs ist, der aber, wenn es nötig wird, von allen Abteilungen Hilfe anfordern kann. Ich bin nur Meirik Rechenschaft schuldig, habe aber Zugang zu allen Akten. Darf Fragen stellen, bin aber keine Antworten schuldig. Und so weiter.«
    »Wie ist es mit der Lizenz zum Töten, gab’s die auch gleich mit?«, fragte Møller. »Und das ganz schnelle Auto?«
    »Das war wirklich nicht meine Idee«, verteidigte sich Harry. »Meirik hat gerade mit der Polizeipräsidentin gesprochen.«
    »Der Polizeipräsidentin?«
    »Exakt. Du wirst wohl im Laufe des Tages eine E-Mail erhalten. Die Brandhaug-Sache hat von jetzt an oberste Priorität und die Polizeipräsidentin will nichts unversucht lassen. Das ist eine dieser FBI-Methoden, mit mehreren kleineren, sich gegenseitig überlappenden Ermittlungsgruppen, um eine einspurige Stoßrichtung, wie man sie oft in großen Fällen hat, zu vermeiden. Du hast bestimmt davon gelesen.«
    »Nein.«
    »Der Punkt ist, dass die Vorteile durch die unterschiedlichen Ermittlungsansätzeüberwiegen, auch wenn man manche Positionen doppelt besetzen muss und vielleicht gewisse Ermittlungsschritte zweimal macht.«
    »Danke«, sagte Møller. »Was hat das mit mir zu tun, warum sitzt du jetzt da?«
    »Weil ich, wie gesagt, die Unterstützung von anderen …«
    »… Abteilungen anfordern darf, wenn das nötig wird. Das habe ich verstanden, red schon, Harry.«
    Harry nickte in Richtung Halvorsen, der ein wenig verwirrt Møller anlächelte. Møller stöhnte:
    »Bitte, Harry! Wir gehen doch jetzt schon auf dem Zahnfleisch, was das Personal im Dezernat für Gewaltverbrechen angeht.«
    »Ich verspreche dir, dass du ihn gut erhalten zurückbekommst.« »Nein, sage ich.«
    Harry erwiderte nichts. Wartete bloß, während er mit seinen Fingern spielte und die etwas schräge Reproduktion eines Märchenschlosses, die an der Wand über dem Bücherregal hing, studierte.
    »Wann kriege ich ihn zurück?«
    »Sobald die Sache aufgeklärt ist.«
    »Sobald … He, so eine Antwort gibt ein Abteilungsleiter seinen Kommissionsleitern und nicht umgekehrt, Harry.«
    Harry zuckte mit den Schultern.
    »Tut mir Leid, Chef.«
     
    Irisveien, 12. Mai 2000
     
    76 Ihr Herz hämmerte bereits wie eine Nähmaschine, als sie den Hörer abhob.
    »Hei, Signe«, sagte die Stimme. »Ich bin’s.«
    Sofort spürte sie, wie ihr die Tränen in die Augen traten. »Hör auf«, flüsterte sie. »Bitte.«
    »Bis in den Tod, Signe, das waren deine Worte.«
    »Ich hole meinen Mann.«
    Die Stimme lachte leise.
    »Der ist nur nicht zu Hause, oder?«
    Sie umklammerte den Hörer so fest, dass es schmerzte. Wie konnteer wissen, dass Even nicht da war? Und wie ging das an, dass er immer dann anrief, wenn Even fort war?
    Der nächste Gedanke schnürte ihr die Luft ab, sie konnte nicht mehr atmen und wurde beinahe ohnmächtig. Rief er von einem Ort aus an, von dem aus er ihr Haus sehen konnte, von wo aus er beobachten konnte, wann Even ging? Nein, nein, nein. Mit äußerster Kraft riss sie sich zusammen und konzentrierte sich auf ihren Atem. Nicht zu schnell, tief und ruhig, sagte sie sich selbst. Wie sie es den verwundeten Soldaten gesagt hatte, wenn sie von den Schützengräben zu ihnen gebracht wurden: weinend, panisch und hyperventilierend. Sie brachte die

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