Rotkehlchen
Aufgabe war es, den Funkkontakt zur Einsatzzentrale zu halten und eventuelle Zuschauer abzuwehren. Waaler und der letzte Beamte warteten, bis die zwei anderen an ihren Plätzen waren, befestigten die Funkgeräte in der Brusttasche und sprangen mit gezückten Dienstwaffen über das Gartentor. Harry und Halvorsen standen hinter dem Polizeiwagen und sahen sich das Ganze an.
»Eine Zigarette?«, fragte Harry die Polizistin.
»Nein, danke«, sagte sie lächelnd.
»Ich wollte wissen, ob Sie mir eine geben könnten.«
Sie hörte auf zu lächeln. Typisch Nichtraucher, dachte Harry. Waaler und der Beamte hatten auf der Treppe neben der Tür Stellung bezogen, als Harrys Handy klingelte.
Harry sah, wie die Beamtin die Augen verdrehte. Typischer Amateur, dachte sie wohl.
Harry wollte das Telefon ausschalten, überprüfte aber erst einmal, ob es nicht vielleicht Rakels Nummer war, die auf dem Display stand. Er kannte die Nummer, doch es war nicht ihre. Waaler hatte bereits seine Hand gehoben, um das Signal zu geben, als Harry bewusst wurde, wer da anrief. Er schnappte sich das Funkgerät der überraschten Polizistin.
»Alfa! Stopp! Der Verdächtige ruft mich in diesem Moment über das Handy an. Hörst du!«
Harry sah zur Treppe hinüber, Waaler nickte. Dann nahm er das Gespräch entgegen.
»Hole!«
»Hallo.« Zu seiner Verblüffung hörte er, dass es nicht Even Juuls Stimme war. »Hier ist Sindre Fauke. Entschuldigen Sie, dass ich Sie stören muss, aber ich stehe im Haus von Even Juul, und ich glaube, ich muss Sie bitten zu kommen.«
»Warum das denn? Und was tun Sie da?«
»Ich glaube, er könnte eine Dummheit begangen haben. Er hat mich vor einer Stunde angerufen und mich gebeten zu kommen; er sei in Lebensgefahr. Ich bin zu ihm hochgefahren und die Tür stand offen, aber Even war nirgends zu sehen. Und jetzt befürchte ich, dass er sich im Schlafzimmer eingeschlossen hat.«
»Warum glauben Sie das?«
»Die Schlafzimmertür ist abgeschlossen, und als ich versucht habe, durch das Schlüsselloch zu schauen, habe ich bemerkt, dass der Schlüssel von innen steckt.«
»Okay«, sagte Harry und ging um das Auto herum und durch das Gartentor. »Hören Sie gut zu. Bleiben Sie dort stehen, wo Sie jetzt sind. Sollten Sie etwas in den Händen haben, legen Sie es weg und halten Sie die Hände so, dass wir sie sehen können. Wir sind in zwei Sekunden da.«
Harry ging unter den erstaunten Blicken von Waaler und dem anderen Polizisten die Treppe hinauf, drückte die Klinke der Haustür nach unten und trat ins Haus.
Fauke stand, den Hörer noch in der Hand, auf dem Flur und starrte sie entgeistert an.
»Mein Gott«, sagte er bloß, als er Waaler mit gezückter Waffe erblickte. »Das ging aber schnell …«
»Wo ist das Schlafzimmer?«, fragte Harry.
Fauke deutete stumm die Treppe hinauf nach oben.
»Zeigen Sie es uns«, sagte Harry.
Fauke ging, gefolgt von den drei Polfristen, nach oben. »Hier.«
Harry versuchte, die Tür zu öffnen, doch sie war, wie angekündigt, verschlossen. Es steckte ein Schlüssel im Schloss, der sich allerdings nicht umdrehen ließ.
»Ich bin nicht mehr dazu gekommen, das zu sagen, aber ich habe versucht, die Tür mit einem der anderen Zimmerschlüssel hier zu öffnen. Manchmal passen die ja.«
Harry zog den Schlüssel ab und sah durch das Schlüsselloch. Drinnen konnte er ein Bett und ein Nachtschränkchen erkennen. Auf dem Bett lag etwas, was wie eine demontierte Deckenlampe aussah. Waaler sprach leise ins Funkgerät. Harry spürte, wie der Schweiß auf der Innenseite seiner Weste hinabzurinnen begann. Diese Deckenlampe gefiel ihm gar nicht.
»Hatten Sie nicht gesagt, der Schlüssel würde von innen stecken?«
»Das tat er auch«, sagte Fauke, »Bis ich ihn aus dem Schloss geschoben habe, als ich es mit dem anderen probiert habe.« »Wie kommen wir also rein?«, fragte Harry.
»Ist bereits in die Wege geleitet«, sagte Waaler, und im gleichen Moment hörten sie schwere Stiefel auf der Treppe. Es war einer der Beamten, der hinter dem Haus Stellung bezogen hatte. Er hielt ein rotes Brecheisen in der Hand.
»Die hier«, sagte Waaler und deutete auf die Tür.
Holzsplitter knickten heraus und die Tür sprang auf.
Harry ging ins Zimmer und hörte, dass Waaler Fauke bat, draußen zu warten.
Das Erste, was Harry bemerkte, war das Hundehalsband. Dass Even Juul sich damit erhängt hatte. Er war in einem weißen Hemd gestorben, die obersten Knöpfe waren geöffnet und er trug dazu eine
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