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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Mal war Rakels Nummer auf dem Display.
     
    Holmenkollveien, 16. Mai 2000
     
    92 »Ist der für mich?«
    Rakel klatschte die Hände zusammen und nahm den Strauß Margeriten entgegen.
    »Ich hab’s nicht mehr in den Blumenladen geschafft, die sind ausdeinem eigenen Garten«, sagte Harry und trat ein. »Hmm, es riecht nach Kokosmilch, kochst du thailändisch?«
    »Ja, und Glückwunsch zu deinem neuen Anzug.«
    »Sieht man das so deutlich?«
    Rakel lachte und fuhr ihm mit der Hand über den Kragen. »Gute Wollqualität.«
    »Super 110.«
    Harry hatte keine Ahnung, was Super 110 bedeutete. In einem Anfall von Übermut war er kurz vor Ladenschluss in eine der Trendboutiquen im Hegdehaugsveien marschiert und hatte die Bedienung dazu gebracht, ihm den einzigen Anzug herauszusuchen, in den sein langer Körper passte. Siebentausend Kronen war natürlich weit mehr, als er sich vorgestellt hatte, doch die Alternative war, wieder seinen alten Anzug herauszukramen und erneut wie eine schlechte Revuenummer auszusehen. So hatte er schließlich die Augen geschlossen, die Kreditkarte durch die Maschine gezogen und versucht, nicht daran zu denken.
    Sie gingen ins Esszimmer, wo für zwei gedeckt war.
    »Oleg schläft«, sagte sie, noch ehe Harry fragen konnte. Es entstand eine Pause.
    »Ich will damit nicht …«, begann sie.
    »Nicht?«, fragte Harry und lächelte. Er hatte sie zuvor noch nie rot werden sehen. Er zog sie an sich, sog den Duft ihrer frisch gewaschenen Haare ein und spürte, dass sie ein wenig zitterte.
    »Das Essen …«, flüsterte sie.
    Er ließ sie los und sie verschwand in die Küche. Das Fenster zum Garten stand auf, und weiße Schmetterlinge, die gestern noch nicht dort gewesen waren, flatterten wie Konfetti durch den Sonnenuntergang. Im Raum roch es nach Neutralseife und feuchtem Holzboden. Harry schloss die Augen. Er wusste, dass es vieler solcher Tage bedurfte, bis das Bild von Even Juul am Hundehalsband vollständig ausgewischt sein würde, doch es verblasste bereits. Weber und seine Männer hatten keine Märklin-Waffe gefunden, dafür aber Burre, den Hund. Er lag mit durchschnittener Kehle in einem Müllsack in der Tiefkühltruhe. Und im Werkzeugkasten waren sie auf drei Messer gestoßen, alle mit Blutresten. Harry tippte darauf, dass an einem das Blut von Hallgrim Dale war.
    Rakel rief ihm aus der Küche zu, er solle tragen helfen. Es verblasste bereits.
     
    Holmenkollveien, 17. Mai 2000
     
    93 Die Janitscharenmusik kam und ging mit dem Wind. Harry öffnete die Augen. Alles war weiß. Weißes Sonnenlicht, das durch die flatternden weißen Gardinen morste und blinkte, weiße Wände, weiße Decke und weißes Bettzeug, das weich und kühl auf der warmen Haut lag. Er drehte sich um. Auf dem Kopfkissen war noch immer der Abdruck ihres Kopfes zu erkennen, doch das Bett war leer. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. Fünf nach acht. Rakel und Oleg waren auf dem Weg zum Festungsplatz, von wo aus der Kinderumzug starten sollte. Für elf Uhr hatten sie sich am Wachhäuschen vor dem Schloss verabredet.
    Er schloss die Augen und ließ die Nacht noch einmal Revue passieren. Dann stand er auf und schlurfte ins Bad. Auch hier war alles hell, weiße Fliesen, weißes Porzellan. Er duschte eiskalt, und noch ehe es ihm bewusst wurde, hörte er sich selbst einen alten The-The-Song singen:
    »… a perfect day!«
    Rakel hatte ihm ein Handtuch bereitgelegt, weiß, und er rieb sich mit der dicken gewebten Baumwolle kräftig ab, damit sein Kreislauf in Gang kam, und betrachtete dabei sein Gesicht im Spiegel. Jetzt war er glücklich, nicht wahr? Genau in diesem Moment. Er lächelte dem Gesicht im Spiegel zu. Es lächelte zurück. Ekman und Friesen. Ein Lächeln für die Welt …
    Er lachte laut, knotete sich das Handtuch um die Hüften und tastete sich auf nassen Fußsohlen über den Flur zur Schlafzimmertür. Es dauerte eine Sekunde, ehe er bemerkte, dass er im falschen Zimmer war, denn auch hier war alles weiß: die Wände, die Decke, eine Kommode mit Familienfotos und ein sorgsam gemachtes Doppelbett mit einer altmodischen gehäkelten Überdecke.
    Er drehte sich um, wollte hinausgehen und war bereits bei der Tür, als er plötzlich erstarrte. Er blieb stehen, als ob ihm ein Teil seines Hirnes befahl, weiterzugehen und zu vergessen, und ein anderer ihn aufforderte zurückzugehen, um zu überprüfen, ob das, was er gesehen hatte, wirklich das war, wofür er es hielt. Oder genauer gesagt: was er befürchtete. Warum und wieso

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