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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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so durchdacht. Es gab kein Zeichen eines Kampfes, keine Spuren, keine Zeugen. Alles deutete darauf hin, dass der Mörder genau wusste, was er tat.«
    »Motiv?«
    »Schwer zu sagen. Dale hatte bestimmt Schulden, aber sicher nicht so viel, dass es sich gelohnt hätte, ihn deshalb unter Druck zu setzen. Soweit wir wissen, hatte er nichts mit Drogen zu tun. Wir haben seine Wohnung durchsucht, aber auch dort war nichts, bloß leere Flaschen. Wir haben mit seinen Saufbrüdern geredet. Aus unerfindlichen Gründen hatte er wohl bei diesen Trinker-Frauen einen Stein im Brett.«
    »Trinker-Frauen?«
    »Ja, die, die immer mit den Säufern herumhängen. Du kennst die doch und weißt, was ich meine.«
    »Ja, aber … Trinker-Frauen.«
    »Du hängst dich immer an den falschen Sachen auf, Harry, und das kann manchmal ganz schön nerven, weißt du? Vielleicht solltest du …«
    »Sorry, Ellen. Du hast wie immer Recht, ich werde mich umgehend bessern. Erzähl weiter.«
    »Im Alkimilieu gibt es einen regen Partnerwechsel, wir können also nicht ausschließen, dass es etwas mit Eifersucht zu tun hatte. Weißt du übrigens, wen wir zum Verhör hier hatten? Deinen alten Freund Sverre Olsen. Der Koch hat ihn zur Mordzeit in Herbert’s Pizza gesehen.«
    »Und?«
    »Alibi. Er hat den ganzen Tag dort verbracht und war nur zehn Minuten draußen, um etwas einzukaufen. Der Verkäufer in dem Laden, wo er war, konnte das bestätigen.«
    »Er hätte es schaffen können «»Ja, das würde dir so passen, wenn er das gewesen wäre. Aber, Harry …«
    »Vielleicht hatte Dale noch etwas anderes als Geld.«
    »Harry …«
    »Vielleicht wusste er etwas über jemanden.«
    »Ihr mögt diese Konspirationstheorien da oben im sechsten Stock, nicht wahr? Aber können wir morgen darüber reden, Harry?« »Seit wann kümmerst du dich so genau um deine Arbeitszeiten?« »Ich bin schon im Bett.«
    »Um halb elf?«
    »Ich bin nicht allein.«
    Harry hörte auf zu strampeln. Er war nicht auf die Idee gekommen, dass die Menschen um ihn herum zuhören könnten. Er sah sich um. Glücklicherweise trainierte zu dieser späten Stunde nur noch eine Hand voll Leute.
    »Ist das dieser Künstlertyp aus dem Torst?«, flüsterte er. »Hm.«
    »Und wie lange treibt ihr es schon miteinander?«
    »Eine Weile.«
    »Warum hast du nichts gesagt?«
    »Du hast nicht gefragt.«
    »Liegt er jetzt neben dir?«
    »Hm.«
    »Ist er gut?«
    »Hmm «
    »Hat er schon gesagt, dass er dich liebt?«
    »Hm.«
    Pause.
    »Denkst du an Freddie Mercury, wenn ihr …«
    »Gute Nacht, Harry.«
     
    Harrys Büro, 6. März 2000
     
    44 Die Uhr an der Rezeption zeigte 8.30 Uhr, als Harry zur Arbeit kam. Es war keine eigentliche Rezeption, sondern eher eine Art Eingangsbereich, der als Schleuse fungierte. Unddie Chefin der Schleuse war Linda, die von ihrem PC aufblickte und ihm fröhlich einen guten Morgen wünschte. Linda war länger als jeder andere im PÜD. Streng genommen war sie die Einzige, zu der Harry Kontakt halten musste, um seine tägliche Arbeit zu verrichten. Neben ihrer Tätigkeit als Schleusenchefin fungierte diese kleine fünfzigjährige Frau mit dem losen Mundwerk nämlich auch noch als Gemeinschaftssekretärin, Empfangsdame und Mädchen für alles. Harry hatte ein paarmal darüber nachgedacht, dass er sich als Spion einer fremden Macht an Linda wenden würde, wenn er etwas über den PÜD erfahren wollte. Außerdem war sie, abgesehen von Meirik, die Einzige im PÜD, die wusste, woran Harry arbeitete. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was die anderen über ihn dachten. Während seiner äußerst seltenen Besuche in der Kantine – um einen Joghurt oder Zigaretten zu kaufen (die sie, wie sich herausstellte, nicht verkauften) – hatte er die Blicke von den Tischen bemerkt. Doch er hatte sie nicht zu deuten versucht, sondern sich lediglich beeilt, zurück in sein Büro zu kommen.
    »Da war ein Anruf für Sie«, sagte Linda. »Hat englisch gesprochen, lassen Sie mich nachsehen …«
    Sie zog einen gelben Zettel vom Rand des Bildschirms. »Hochner.«
    »Hochner?«, platzte es aus Harry heraus.
    Linda warf etwas verunsichert noch einmal einen Blick auf den Zettel. »Doch, das hat sie gesagt.«
    »Sie? Er, meinen Sie wohl.«
    »Nein, das war eine Frau. Sie sagte, sie wolle es noch einmal versuchen …« Linda drehte sich um und warf einen Blick auf die Uhr hinter sich an der Wand. »… jetzt. Sie schien Sie ziemlich dringend sprechen zu wollen. Wo ich Sie schon hier habe, Harry – haben Sie

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