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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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was in meiner Macht steht, Frau Hochner.«
    »Ich kenne Sie nicht, Sie verstehen nicht. Die werden Andreas zum Tode verurteilen. Die …«
    »Mehr kann ich Ihnen nicht anbieten.«
    Sie begann zu weinen. Harry wartete. Nach einer Weile wurde sie ruhiger.
    »Haben Sie Kinder, Frau Hochner?«
    »Ja«, schluchzte sie.
    »Und Sie wissen, was man Ihrem Bruder vorwirft?«
    »Natürlich.«
    »Dann verstehen Sie auch, dass er zum Ausgleich möglichst viele Pluspunkte braucht. Wenn er uns durch Sie helfen kann, einen Attentäter aufzuhalten, hat er etwas Gutes getan. Und das haben dann auch Sie, Frau Hochner.«
    Sie atmete schwer in den Hörer. Einen Augenblick lang glaubte Harry, sie würde wieder zu weinen beginnen.
    »Versprechen Sie mir, alles zu tun, was Sie können, Herr Hole? Mein Bruder hat nicht all das getan, was man ihm vorwirft.«
    »Ich verspreche es.«
    Harry hörte seine eigene Stimme. Ruhig und fest. Doch gleichzeitig knetete er den Hörer.
    »Okay«, sagte Constance Hochner leise. »Andreas lässt Ihnen ausrichten, dass der Mann, der die Waffe in dieser Nacht am Hafen entgegengenommen hat, nicht der gleiche ist, der sie bestellt hat. Der Auftraggeber sei so etwas wie ein fester Kunde, ein jüngerer Mann. Erspricht gut englisch mit skandinavischem Akzent. Und er bestand darauf, dass Andreas seinen Kodenamen ›Prinz‹ verwendete. Andreas meinte, Sie sollten im Waffenmilieu suchen.«
    »Ist das alles?«
    »Andreas hat ihn noch nie gesehen. Er sagte aber, er würde ihn jederzeit an seiner Stimme erkennen, wenn Sie ihm eine Aufnahme schicken.«
    »Gut«, sagte Harry und hoffte, dass sie nicht spürte, wie enttäuscht er war. Er schob automatisch die Schultern nach hinten, als wollte er sich größer machen, ehe er ihr die Lüge servierte. »Wenn ich etwas herausfinde, werde ich versuchen, von hier aus ein paar Fäden zu ziehen.« Die Worte brannten wie Ätznatron in seinem Mund.
    »Ich danke Ihnen, Herr Hole.«
    »Tun Sie das nicht, Frau Hochner.«
    Den letzten Satz wiederholte er zweimal für sich selbst, ehe er auflegte.
     
    »Das ist ja eine Scheiße«, sagte Ellen, als sie die Geschichte über die Familie Hochner gehört hatte.
    »Versuch mal zu vergessen, dass du verliebt bist, und nutz deine besonderen Fähigkeiten«, sagte Harry, »die Stichworte habe ich dir jedenfalls gegeben.«
    »Waffenschmuggel, Stammkunde, Prinz, Waffenmilieu. Das sind nur vier.«
    »Das ist alles, was ich habe.«
    »Warum sage ich nur ja zu so etwas?«
    »Weil du mich liebst. Jetzt muss ich aber los.«
    »Warte. Erzähl mir von dieser Frau, die du …«
    »Ich hoffe nur, deine Intuition ist besser, wenn es um Verbrechen geht, Ellen, mach’s gut.«
     
    Harry wählte die Nummer in Drammen, die er über die Auskunft erfahren hatte.
    »Mosken.« Eine feste Stimme.
    »Edvard Mosken?«
    »Ja, mit wem spreche ich?«
    »Polizei-Kommissionsleiter Hole, Überwachungsdienst. Ich habe ein paar Fragen.« Harry bemerkte, dass er sich zum ersten Mal mitseinem neuen Titel vorgestellt hatte. Irgendwie kam ihm auch das wie eine Lüge vor.
    »Ist etwas mit meinem Sohn?«
    »Nein. Ist es Ihnen recht, wenn ich morgen gegen zwölf Uhr bei Ihnen vorbeischaue, Herr Mosken?«
    »Ich bin Rentner. Und allein. Es gibt kaum einen Zeitpunkt, der nicht passt, Herr Kommissar.«
    Harry rief Even Juul an und unterrichtete ihn von dem, was geschehen war.
    Er dachte darüber nach, was Ellen über den Mord an Hallgrim Dale gesagt hatte, als er zur Kantine ging, um sich einen Joghurt zu holen. Er wollte bei der Kripo anrufen, um neuere Informationen zu erhalten, doch er hatte das Gefühl, dass Ellen ihm bereits alles Wichtige gesagt hatte. Egal. Die statistische Wahrscheinlichkeit, in Norwegen ermordet zu werden, betrug ungefähr ein zehntel Promille. Wenn eine Person, nach der man sucht, als Leiche in einer vier Monate alten Mordsache auftaucht, kann man nur schwer an einen Zufall glauben. Konnte der Mord irgendwie mit dem Kauf des Märklin-Gewehres zusammenhängen? Es war kaum zehn Uhr und Harry hatte bereits Kopfschmerzen. Er hoffte nur, dass Ellen ihm irgendetwas über diesen Prinzen liefern würde. Irgendetwas. Damit man irgendwo anfangen konnte.
     
    Sogn, 6. März 2000
     
    45 Nach der Arbeit fuhr Harry zu den betreuten Sozialwohnungen nach Sogn hinauf. Søs wartete bereits in der Tür auf ihn, als er ankam. Sie war ein bisschen dicker geworden im letzten Jahr, doch ihr Freund, Henrik, der ein Stück weiter auf dem gleichen Flur wohnte, mochte das so,

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