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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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beteuerte sie.
    »Aber Henrik ist ja auch Mongo.«
    Sie pflegte das immer zu sagen, wenn sie Henriks kleine Eigenheiten zu erklären versuchte. Sie selbst war nicht Mongo. Irgendwo verlief dort eine unsichtbare, aber doch scharfe Grenze. Und See erklärte Harry gerne, wer von den Bewohnern Mongo war und wer nur beinahe.
    Sie erzählte Harry die üblichen Dinge, was Henrik in der letzten Woche gesagt hatte (was manchmal ziemlich überraschend sein konnte), was sie im Fernsehen gesehen hatten, was sie gegessen hatten und wo sie ihren nächsten Urlaub verbringen wollten. Sie planten immer irgendwelche Reisen. Dieses Mal sollte es nach Hawaii gehen, und Harry musste einfach lächeln, als er sich S ø s und Henrik in Hawaiihemden auf dem Flughafen von Honolulu vorstellte.
    Er fragte, ob sie mit Vater gesprochen hätte, und sie erzählte, dass er sie vor zwei Tagen besucht habe.
    »Das ist schön«, sagte Harry.
    »Ich glaube, er hat Mama jetzt vergessen«, sagte Søs, »das ist gut so.«
    Harry blieb eine Weile sitzen und dachte über ihre Worte nach. Dann klopfte Henrik an und sagte, Hotel Caesar beginne in drei Minuten auf TV 2. Harry zog seinen Mantel an und versprach, sie bald anzurufen.
    Der Verkehr stockte wie üblich an der Ampel beim Ullev å l-Stadion, und er bemerkte zu spät, dass er wegen der Baustelle auf der Ringstraße rechts hätte abbiegen müssen. Er dachte an Constance Hochners Worte. Dass Urias einen Mittelsmann benutzt hatte, vermutlich einen Norweger. Das bedeutete, dass jemand dort draußen wusste, wer Urias war. Er hatte bereits Linda gebeten, die geheimen Archive nach einem Prinzen zu durchstöbern, war sich aber ziemlich sicher, dass sie nichts finden würde. Er hatte ein bestimmtes Gefühl, dass dieser Mann klüger war als der Durchschnittsverbrecher. Wenn es stimmte, was Andreas Hochner sagte, dass der Prinz nämlich ein Stammkunde sei, bedeutete das, dass es ihm gelungen war, einen eigenen Kundenstamm aufzubauen, ohne dass das PÜD oder irgendjemand anders das bemerkt hatte. So etwas brauchte Zeit und Vorsicht, List und Disziplin – nichts davon war charakteristisch für die Banditen, die Harry kannte. Natürlich war es auch möglich, dass es einfach nur Glück war, dass er bis jetzt nicht aufgefallen war. Oder er hatte eine Position, die ihn schützte. Constance Hochner hatte gesagt, dass er gut englisch sprach. Er konnte Diplomat sein, zum Beispiel – jemand, der ein-und ausreisen konnte, ohne am Zoll gestoppt zu werden.
    Harry nahm die Ausfahrt Slemdalsvei und fuhr in Richtung Holmenkollen hoch.
    Sollte er Meirik bitten, Ellen vorübergehend ins 130D zu versetzen? Er wies diesen Gedanken sofort wieder von sich. Es schien Meirik wichtiger zu sein, dass er Neonazis zählte und an geselligen Zusammenkünften teilnahm, als Gespenster aus Kriegszeiten zu jagen.
    Harry hatte ihr Haus schon erreicht, ehe er begriff, wohin er gefahren war. Er hielt den Wagen an und spähte zwischen den Bäumen hindurch. Von der Hauptstraße aus, auf der er stand, waren es fünfzig, sechzig Meter bis zum Haus. Die Lichter in der ersten Etage brannten.
    »Idiot«, sagte er laut zu sich selbst und erschrak beim Klang seiner eigenen Stimme. Er wollte weiterfahren, als er sah, dass die Haustür aufging und Licht auf die Treppe fiel. Der Gedanke daran, dass sie sein Auto sehen und wiedererkennen könnte, versetzte ihn augenblicklich in Panik. Er schaltete in den Rückwärtsgang, um still und vorsichtig nach oben aus dem Blickfeld zu entschwinden, doch er gab zu wenig Gas, so dass der Motor ausging. Er hörte Stimmen. Ein großer Mann in einem dunklen, langen Mantel war auf die Treppe getreten. Er sprach, doch derjenige, mit dem er sprach, war durch die Tür verborgen. Dann beugte er sich durch die Tür nach vom und Harry konnte ihn nicht mehr sehen.
    Jetzt küssen sie sich, dachte er. Ich bin zum Holmenkollen hochgefahren, um einer Frau nachzuspionieren, mit der ich fünfzehn Minuten geredet habe, und zu beobachten, wie sie ihren Lebensgefährten küsst.
    Dann ging die Tür zu und der Mann setzte sich in einen Audi, fuhr zur Hauptstraße und dann an Harry vorbei.
    Auf dem Weg nach Hause fragte sich Harry, wie er sich selbst bestrafen konnte. Es musste eine harte Strafe sein, etwas, was eine abschreckende Wirkung für die Zukunft hatte. Eine Aerobicstunde im SATS.
     
    Drammen, 7. März 2000
     
    46 Harry hatte nie richtig verstanden, warum Drammen immer so negativ dargestellt wurde. Die Stadt war nicht gerade eine

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