Rotkehlchen
über den Bildschirm nach unten. Vagabundieren, Trunkenheit, Ruhestörung, Mundraub, eine Prügelei. Viel, aber nichts wirklich Ernstes. Das Beeindruckendste ist, dass er noch am Leben ist, dachte Harry und registrierte, dass Dale erst im August zur Ausnüchterung eingesessen hatte. Er kramte das Osloer Telefonbuch hervor, suchte Dales Nummer und wählte sie. Während er darauf wartete, dass sich jemand meldete, öffnete er im PC wieder das Volksregister und fand den anderenEdvard Mosken, geboren 1942. Auch er hatte eine Adresse in Drammen. Er notierte die Geburtsnummer und ging zurück ins Strafregister.
»Diese Telefonnummer ist nicht vergeben. Dies ist eine Meldung von Telenor. Diese Telefonnummer ist …«
Harry war nicht überrascht. Er legte auf.
Edvard Mosken junior war einmal verurteilt worden. Eine lange Haftstrafe, er saß noch immer ein. Weswegen? Drogen, tippte Harry, und drückte ENTER. Etwa ein Drittel aller Häftlinge sitzt wegen Drogen. Da, da stand es ja: Haschisch-Schmuggel. Vier Kilo. Vier Jahre ohne Bewährung.
Harry gähnte und streckte sich. War er dabei, etwas herauszufinden, oder saß er bloß hier herum und stocherte in den Daten, weil der einzige andere Ort, an den er gerne gegangen wäre, Schrøder’s Restaurant war, wo er es heute nicht übers Herz gebracht hätte, einen Kaffee zu trinken? Was für ein Scheißtag. Er fasste alles zusammen: Gudbrand Johansen existierte nicht, jedenfalls nicht in Norwegen. Edvard Mosken wohnte in Drammen und hatte einen Sohn, der wegen Drogenschmuggel einsaß. Und Hallgrim Dale war ein Säufer und ganz sicher nicht der Typ, der mal so eben über eine halbe Million verfügte.
Harry rieb sich die Augen.
Sollte er im Telefonbuch unter Fauke nach einer Nummer am Holmenkollveien suchen? Er stöhnte.
Sie wohnt nicht allein. Und sie hat Geld. Und Klasse. Kurzgesagt: all das, was du nicht hast.
Er tippte die Geburtsnummer von Hallgrim Dale in die SSP-Datenbank. ENTER. Die Maschine surrte und mahlte.
Eine lange Liste. Noch mehr von dem Zeug. Armer Säufer.
Sie haben beide Jura studiert. Und sie mag auch die Raga Rockers. Moment. Der letzte Eintrag führte Dale als »Betroffenen«. Hatte ihn jemand verprügelt? ENTER.
Vergiss die Frau. So, jetzt war sie vergessen. Sollte er Ellen anrufen und fragen, ob sie Lust hatte, ins Kino zu gehen, sie den Film aussuchen lassen? Nein, besser, er ging ins Fitnesscenter. Zum Ausschwitzen. Es leuchtete ihm vom Bildschirm entgegen:
HALLGRIM DALE. 151199. MORD.
Harry hielt die Luft an. Er war überrascht, doch warum hielt sichseine Überraschung so in Grenzen? Er klickte zweimal auf Details. Es brummte und schnarrte. Doch dieses eine Mal waren seine eigenen Gehirnwindungen schneller als die des Computers, denn als das Bild erschien, war es ihm bereits gelungen, den Namen am richtigen Ort einzuordnen.
SATS, 3. März 2000
43 »Ellen.«
»Hei, ich bin’s.« »Wer?«
»Harry. Und tu nicht so, als gäbe es andere Männer, die dich anrufen und sich mit ich bin’s melden.«
»Zum Teufel mit dir. Wo steckst du? Was ist das für eine grässliche Musik?«
»Ich bin im SATS.«
»Was?«
»Ich fahre Fahrrad. Bald sind’s acht Kilometer.«
»Nur dass ich das richtig verstehe, Harry: Du sitzt auf einem Fahrrad im SATS und telefonierst gleichzeitig mit einem Handy?« Sie betonte die Wörter SATS und Handy.
»Ist irgendetwas daran nicht richtig?«
»Mein Gott, Harry.«
»Ich versuch schon den ganzen Abend, dich zu erreichen. Erinnerst du dich an den Mord, mit dem du und Tom Waaler im November zu tun hattet? Hallgrim Dale?«
»Natürlich. Die Kripo hat das beinahe sofort übernommen. Warum?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte etwas mit diesem Frontkämpfer zu tun haben, den ich suche. Was kannst du mir zu der Geschichte sagen?«
»Das ist Arbeit, Harry. Ruf mich morgen früh im Büro an.« »Nur ein paar Worte, Ellen, los.«
»Einer der Köche von Herbert’s Pizza fand Dale im Hauseingang. Er lag mit durchschnittener Kehle zwischen den Mülltonnen. Die Spurensicherung fand nichts. Der Arzt, der die Obduktion leitete,meinte im Übrigen, es sei ein verdammt glatter Schnitt gewesen, der reinste chirurgische Eingriff.«
»Wer, glaubst du, kann das getan haben?«
»Keine Ahnung. Kann natürlich einer der Neonazis gewesen sein, aber das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Wenn du jemanden direkt vor deiner Stammkneipe umbringst, bist du entweder naiv oder dumm. Doch der ganze Mord wirkte so sauber,
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