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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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gehabt?«
    »Gott bewahre, nein! Oben in Hokksund gab es ja vor ein paar Jahren solche Versammlungen, und irgendeiner dieser Idioten hat mich damals auch angerufen und gefragt, ob ich kommen und über den Krieg berichten wolle. Ich glaube, sie nannten sich ›Blood and Honoun, oder irgend so etwas.«
    Mosken beugte sich über den Salontisch vor. Auf einer Ecke des Tisches waren ein paar Magazine peinlich genau parallel zur Tischkante übereinander gestapelt.
    »Auf was ist das PÜD dieses Mal eigentlich aus? Wollen Sie gegen die Neonazis ermitteln? Dann sind Sie bei mir an der falschen Adresse.«
    Harry war sich nicht sicher, wie viel er schon jetzt erzählen sollte. Doch seine Antwort war ehrlich:
    »Ich weiß nicht genau, auf was wir aus sind.«
    »Das hört sich vertraut an.«
    Er krächzte wieder sein Elsterlachen. Es war ein hoher, unangenehmer Laut.
    Harry sollte später zu dem Schluss kommen, dass es wohl die Kombination aus diesem höhnischen Lachen und dem Fehlen des Kaffees war, die ausschlaggebend für die Art und Weise war, wie er seine nächste Frage formulierte.
    »Was glauben Sie, wie es für Ihre Kinder war, mit einem Vater aufzuwachsen, der eine Vergangenheit als Nazi hat? Glauben Sie, dass das auch ein Grund dafür sein könnte, dass Edvard Mosken junior heute eine Strafe wegen Drogenhandels absitzt?«
    Harry ärgerte sich sogleich über sich selbst, als er die Wut und den Schmerz in den Augen des Alten wahrnahm Er wusste, dass er das, was er hatte erfahren wollen, auch ohne diesen Schlag unter die Gürtellinie herausbekommen hätte.
    »Diese Gerichtsverhandlung war eine einzige Farce!«, fauchte Mosken. »Der Verteidiger, den sie meinem Sohn gaben, war der Enkel des Richters, der mich nach dem Krieg verurteilt hat. Sie versuchen, meine Kinder zu bestrafen, um ihre eigene Scham über das, was sie im Krieg getan haben, zu vertuschen. Ich …«
    Er hielt plötzlich inne. Harry wartete auf eine Fortsetzung. Doch es kam keine. Plötzlich und ganz unerwartet spürte er die Hunde dort unten in seinem Bauch an den Leinen zerren. Sie hatten sich schon eine ganze Weile nicht mehr gemeldet. Sie wollten einen Drink.
    »Einer der Heiligen der letzten Tage?«, fragte Harry.
    Mosken zuckte mit den Schultern. Harry verstand, dass dieses Thema für heute beendet war. Mosken sah auf die Uhr.
    »Haben Sie noch etwas vor?«, fragte Harry.
    »Ich will noch runter zu meiner Hütte.«
    »Aha? Ist die weit weg?«
    »Grenland. Ich möchte da sein, ehe es dunkel wird.«
    Harry stand auf. Im Flur blieben sie stehen und suchten nach ein paar passenden Abschiedsworten, als Harry plötzlich etwas in den Sinn kam.
    »Sie sagten, Sie seien im Winter 1944 bei Leningrad verwundet worden und schließlich im Spätsommer im Lazarett in der Sinsen-Schule in Oslo gelandet. Wo waren Sie in der Zwischenzeit?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich habe gerade eines der Bücher von Even Juul gelesen. Er ist Kriegshistoriker.«
    »Ich weiß gut, wer Even Juul ist«, sagte Mosken mit einem unergründlichen Lächeln.
    »Er schreibt, dass das Regiment Norge im März 1944 in Krasnoje Selo aufgelöst worden sei. Wo befanden Sie sich von März 1944 bis Sie nach Oslo kamen?«
    Mosken sah Harry lange an. Dann öffnete er die Haustür und blickte nach draußen.
    »Es beginnt zu frieren«, sagte er. »Sie sollten vorsichtig fahren.«
    Harry nickte. Mosken richtete sich auf, hielt sich die Hand über die Augen und starrte in Richtung der leeren Trabrennbahn. Die feine Kiesbahn zeichnete ein graues Oval in den schmutzigen Schnee.
    »Ich befand mich an Orten, die früher einmal Namen hatten«, antwortete Mosken. »Doch sie waren derart verändert, dass sie niemand mehr wiedererkannte. Auf unseren Karten waren nur Wege eingezeichnet, Wasserflächen und Minenfelder, keine Namen. Wenn ich sage, dass ich in Pärnu in Estland war, ist das vielleicht richtig. Ich weiß es nicht und das weiß auch wohl sonst niemand. Frühjahr und Sommer 1944 lag ich auf einer Trage, hörte Maschinengewehrsalven und dachte an den Tod. Nicht daran, wo ich war.«
     
    Harry fuhr am Fluss entlang und blieb vor der Stadtbrücke an einer roten Ampel stehen. Die andere Brücke, über die die Europastraße 18 führte, spannte sich wie eine Klammer über das Land und versperrte die Sicht auf den Drammens4ord. Okay, vielleicht war doch nicht alles so geglückt in Drammen. Harry hatte sich eigentlich vorgenommen, auf dem Rückweg in der Borse einen Kaffee zu trinken, war dann aber

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