Rotkehlchen
die Urias im Sinn hat, findet er hier jedenfalls Gleichgesinnte. Es gibt natürlich noch mehr Treffpunkte für Frontkämpfer; zum Beispiel gibt es jedes Jahr so genannte Kameradschaftstreffen hier in Oslo, zu denen sie aus dem ganzen Land anreisen – Soldaten und all die anderen, die an der Ostfront waren. Aber diese Kameradschaftstreffen haben einen ganz anderen Stil als dieses Loch hier. Das sind einfach Zusammenkünfte, bei denen der Gefallenen gedacht wird und es ansonsten verboten ist, über Politik zu sprechen. Nein, wenn ich auf der Suche nach einem Frontkämpfer mit Rachegelüsten wäre, würde ich hier an diesem Ort beginnen.«
»War Ihre Frau bei einem dieser – wie nannten Sie es – Kameradschaftstreffen?«
Juul sah Harry verwundert an. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
»Nur so ein Einfall«, sagte Harry. »Ich dachte nur, sie könnte mir vielleicht etwas erzählen.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Juul schroff.
»Gut. Gibt es eine Verbindung zwischen den Unverbesserlichen, wie Sie sie nennen, und den Neonazis?«
»Warum fragen Sie danach?«
»Ich habe einen Tipp bekommen, dass Urias einen Mittelsmann benutzt hat, um diese Märklin-Waffe zu erhalten, eine Person aus dem Waffenmilieu.«
Juul schüttelte den Kopf.
»Die meisten Frontkämpfer würden sich wehren, wenn sie hörten, dass Sie sie als Gesinnungsgenossen der Neonazis bezeichnen. Obgleichdiese immer einen gewaltigen Respekt vor den Frontkämpfern haben. Für sie verkörpern die Frontkämpfer ihren ultimativen Traum – ihr Land und ihre Rasse mit Waffengewalt zu verteidigen.«
»Wenn sich also ein Frontkämpfer eine Waffe beschaffen wollte, könnte er mit der Hilfe der Neonazis rechnen?«
»Er würde vermutlich auf ein gewisses Wohlwollen stoßen, ja. Doch er müsste wissen, mit wem er sprechen soll. Nicht jeder könnte ihm eine derart spezielle Attentatswaffe beschaffen wie die, nach der Sie suchen. Es ist sehr bezeichnend, dass die Polizei in Honefoss neulich bei einer Razzia in der Garage von ein paar Neonazis einen alten, rostigen Datsun gefunden hat, der voll gestopft war mit selbst gemachten Keulen, Holzspeeren und ein paar stumpfen Äxten. Der Großteil dieses Milieus befindet sich im wahrsten Sinne des Wortes in der Steinzeit.«
»Und wo beginne ich dann mit der Suche nach einem Mann dieses Milieus, der Kontakte zu internationalen Waffenhändlern hat?«
»Das Problem ist eigentlich nicht die Größe des Milieus. Fritt Ord, die Zeitung der Nationalisten, spricht ganz offen davon, dass es etwa fünfzehnhundert Nationalsozialisten und Nationaldemokraten in Norwegen gibt. Wenn Sie aber bei Monitor anfragen, dieser freiwilligen Organisation, die die Rechtsnationalen beobachtet, werden die Ihnen sagen, dass es maximal fünfzig wirklich aktive gibt. Nein, das Problem ist, dass die Hintermänner, die, die wirklich die Fäden in den Händen halten, nicht zu sehen sind. Die laufen nicht in Springerstiefeln herum oder haben Hakenkreuze auf die Oberarme tätowiert, um es so zu sagen. Sie haben vielleicht eine Position in der Gesellschaft, die es ihnen ermöglicht, sich für ihre Sache einzusetzen, doch dafür dürfen sie auf keinen Fall auffallen.«
Eine tiefe Stimme knurrte plötzlich hinter ihnen:
»Wie kannst du es wagen, hierher zu kommen, Even Juul?«
Gimle Kino, Bygdoy Allee, 7. März
49 »Was habe ich also gemacht?«, fragte Harry Ellen und schob sie in der Schlange weiter nach vorne. »Ich hatte gerade überlegt, ob ich mich bei einem dieser griesgrämigenAlten erkundigen sollte, ob sie jemanden kennen, der zurzeit irgendwelche Attentatspläne hegt und deshalb eine Waffe gekauft hat, die aus dem Rahmen fällt. Und in diesem Augenblick stand einer von ihnen bei uns am Tisch und fragte mit einer Grabesstimme: ›Wie kannst du es wagen, hierher zu kommen, Even Juul?‹«
»Und was hast du gemacht?«, wollte Ellen wissen.
»Nichts. Ich saß einfach da und beobachtete, wie Even Juuls Gesicht entgleiste. Er sah aus, als hätte er einen Geist gesehen. Es war ganz offensichtlich, dass die zwei sich kannten. Das war übrigens schon die zweite Person, die ich heute getroffen habe, die behauptete, Even Juul zu kennen. Edvard Mosken hat das auch behauptet.«
»Ist das so erstaunlich? Juul schreibt für die Zeitung, er ist oft im Fernsehen, das ist einfach eine profilierte Persönlichkeit.«
»Da hast du wohl Recht. Auf jeden Fall stand Even Juul auf und marschierte schnurstracks aus dem Lokal. Ich musste ihm
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