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Rott sieht Rot

Rott sieht Rot

Titel: Rott sieht Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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zu sehen. Sorgt man für eine sehr große Ansammlung solcher Häuser und legt zwischen ihnen kleine romantische Gässchen an, dann entsteht so etwas wie der Remscheider Ortsteil Lennep, der sich gegen die Innenstadt ausnimmt wie eine gesetzte alte Dame im Vergleich zu einer verlotterten Großstadtgöre.
    Sülzbachs Mutter wohnte am Rand des alten Stadtkerns. Ich lenkte den Golf eine verschlafene Allee entlang und parkte gegenüber eines Bestattungsinstituts. Als ich den Schlüssel abzog, landete ein gelbes Blatt auf meiner Windschutzscheibe.
    Mein Blick fiel auf leere Bänke, die die einsame Straße säumten - ebenfalls von Laub bedeckt und noch feucht vom Regen der Nacht. Ich nahm den Blumenstrauß, den ich unterwegs besorgt hatte, vom Beifahrersitz und befreite ihn vom Papier.
    Ich fand eine Klingel mit dem Namen »Margit Sülzbach«. Sorgsam zupfte ich mein Sakko zurecht; dann drückte ich auf den Knopf. Die Frau, deren Stimme ich schon vom Telefon kannte, meldete sich.
    »Ja, bitte?«, tönte es aus der Sprechanlage.
    »Mein Name ist Rott. Entschuldigen Sie die Störung, Frau Sülzbach. Ich hatte gestern mit Ihnen telefoniert. Ich bin auf der Suche nach Ihrem Sohn.«
    »Ach ja, ich erinnere mich. Kommen Sie bitte herein.«
    Es knackte. Die Tür ließ sich öffnen, und Frau Sülzbach erwartete mich gleich am Eingang ihrer Erdgeschosswohnung. Sie war eine hoch gewachsene alte Dame mit rosigen Wangen. Ihre weißen Haare waren zu perfekt frisiert und zu dicht, um echt zu sein. Sie sah mich aufmerksam an und streckte mir die Hand entgegen. Mir fiel ein, dass ich mich am Telefon als ehemaliger Kollege ausgegeben hatte. Ich beschloss, die Rolle auf »Studienkollege« umzuändern.
    »Es freut mich außerordentlich, Sie kennen zu lernen«, sagte ich, deutete eine Verbeugung an und überreichte die Blumen. »Eine kleine Aufmerksamkeit«, sagte ich. Frau Sülzbach lächelte, bedankte sich und führte mich in die Wohnung, in der es eigenartig roch. Ich tippte auf Lavendel. Dicke Teppiche dämpften unsere Schritte.
    Frau Sülzbachs Ära als Opernsängerin mochte Vergangenheit sein. Als ich jedoch ihr Wohnzimmer betrat, sah ich, dass sie die Heiligtümer dieser Zeit in Ehren hielt.
    In der Ecke stand ein Flügel aus bräunlichem Holz; auf der polierten Oberfläche drängten sich in Silber gerahmte Schwarzweißfotos von Menschen in merkwürdigen Kostümen. Ein Mann in Ritterrüstung hielt sich beide Hände an die Herzgegend und blickte gen Himmel; neben ihm stand eine Frau in weißem Gewand und sah demütig auf seine Fußspitzen. Auf einem anderen Bild stützte ein mit Brustharnischen bewehrter Held seine linke Hand auf einen mächtigen Schild, die rechte hielt einen Speer. Auf dem Kopf trug er einen dieser Flügelhelme, wie man sie aus Asterix-Comics kennt.
    Auf Bildern an den Wänden kehrten diese Motive in vielen Varianten wieder. In einer Vitrine stand eine weiße Marmorbüste, auf der ein Lorbeerkranz vor sich hintrocknete. Aus dem runden Gesicht des Mannes ragte eine Adlernase. Ein Messingschild klärte mich darüber auf, dass es sich um Richard Wagner handelte. Frau Sülzbach wies auf ein altmodisches Sofa hinter einem kleinen runden Tisch. Ich nahm Platz. Sie setzte sich in einen Sessel.
    »Hat mein Sohn Ihnen nicht erzählt, dass ich an der Kölner Oper gesungen habe?«, fragte sie. Offenbar hatte sie mein Staunen bemerkt.
    »Aber ja«, behauptete ich. »Wir haben uns oft darüber unterhalten. Ich wusste auch, dass Sie Wagner ganz besonders lieben.«
    Sie nickte versonnen. »Ja, er ist für mich der Größte von allen. Viele schätzen ja am meisten Mozart oder Bach. Meine Liebe sind jedoch die Wagner-Opern. Deshalb habe ich meinen Sohn auch Tristan genannt. Tristan und Isolde - Sie kennen die Geschichte natürlich. Es ist die berühmteste Liebesgeschichte überhaupt.«
    »Ja sicher«, sagte ich, obwohl ich immer gedacht hatte, die berühmteste Liebesgeschichte sei die von Romeo und Julia. »Ich frage mich nur, ob es auch eine Isolde für ihn gegeben hat«, fügte ich hinzu. Eigentlich hatte ich damit auf das Thema Hochzeit und eventuelle frühere Freundinnen überleiten wollen, und war erschrocken, als sich das Gesicht von Frau Sülzbach verhärtete.
    »Tristan hatte eine Schwester, die Isolde hieß«, sagte sie. »Sie ist als Kind bei einem Autounfall umgekommen. Das konnten Sie natürlich nicht wissen.«
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich. »Das wusste ich tatsächlich nicht. Ich wollte eigentlich darauf zu

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