Rott sieht Rot
Tasse vor mir. Ich nahm sie und setzte mich an einen der wenigen Tische. Die Frau war wieder verschwunden. Offenbar befand sich auch das Telefon irgendwo weiter hinten. Ich nippte an meinem Kaffee und betrachtete die volkstümliche Innenausstattung.
Das war eine Kneipe, wie ich sie seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte. Außer den Sportfotos und ein paar Urkunden schmückten zwei Geweihe die Wände. Unter dem einen, direkt über einer Eckbank, hing ein Holzschild: »Stammtisch für Fischer, Jäger und andere Lügner«.
Die Frau kam zurück. »Ich glaube, ich habe was gefunden«, sagte sie. »Fahren Sie rüber nach Genkel. Da wohnt ein Vetter meines Mannes. Er heißt Markus Breitscheid. Ich habe mit seiner Mutter gesprochen. Sie sagte, ihr Sohn habe bei irgendwas mitgearbeitet, was mit der ›Kaisermühle‹ zu tun hat. Er kommt jeden Moment von der Arbeit nach Hause. Soll ich Ihnen den Weg beschreiben?«
»Die Adresse reicht mir völlig«, sagte ich. Sie schrieb die Anschrift auf einen Zettel.
»Was bin ich Ihnen schuldig?«, fragte ich.
»Lassen Sie mal - das geht aufs Haus. Sehen Sie nur zu, dass Sie den Betrügern das Handwerk legen.«
*
Svetlana saß immer noch im Wagen und stierte vor sich hin.
»Bingo«, sagte ich. »Ich habe jemanden gefunden, der mir weiterhelfen konnte.«
Svetlana schwieg. Ich nahm den Atlas, suchte den Weg nach Genkel und fuhr los. Es ging wenige Kilometer über die Hauptstraße, dann wurde es enger, und wir fuhren durch Wohngebiete. Plötzlich führte die Straße durch dichten Wald hinab in ein Tal. Irgendwann lichteten sich die Bäume, und neben der Fahrbahn verlief eine altmodische Stromleitung von Pfosten zu Pfosten. Hinter dem Wald winkte das Windrad wieder. Wo die Stromleitung endete, war Genkel.
Vor dem ersten Haus hatte jemand an einem Mast die deutsche Flagge gehisst. Vielleicht hatten sich ja verirrte Wanderer erkundigt, ob sie in Holland gelandet waren.
Auf einer Bank saß eine Frau in der Sonne. Zu ihren Füßen hatte es sich eine riesige schwarze Dogge bequem gemacht.
»Sie sind sicher Frau Breitscheid«, sagte ich.
»Gehen Sie ruhig rein, mein Sohn ist gerade nach Hause gekommen.«
Ich betrat die Garageneinfahrt und quetschte mich an einem schmutzigen Opel Kombi vorbei. Auf dem Rückfenster klebte ein Sticker: »Ich bremse auch für hübsche Mädchen«.
Die Haustür stand offen. Als ich klingelte, kam ein junger Mann in Jeans und Hemd mit Karomuster heraus.
»Guten Tag, Herr Breitscheid. Mein Name ist Rott. Ihre Mutter meinte, Sie wissen vielleicht, wo ich die ›Kaisermühle‹ finde.«
Der Mann kratzte sich am Kopf und dachte einen Moment nach. »Ja … die ›Kaisermühle‹…«
»Das muss ein Lokal hier in der Nähe sein. Ich dachte, Sie hätten damit irgendwas zu tun.«
Er blieb im Eingang stehen und schien nach Worten zu suchen. »Na ja … ein Lokal ist das nicht gerade …«
»Wieso?«
»Die haben nur zeitweise geöffnet. Nur manchmal. Und dann richten die das immer so ein bisschen her.«
»Aha. Aber Sie können mir doch sicher sagen, wo das ist?«
»Schon. Sie müssen weiter nach Redlendorf. Nur ein paar Kilometer.«
Er kam heraus und schlurfte an mir vorbei Richtung Garage. Ich folgte ihm.
»Geht es vielleicht etwas genauer?«
Er antwortete nicht; stattdessen öffnete er das Garagentor. Innen stand kein Wagen, dafür lehnten große Schilder an der Wand. Ein blaues »Ausfahrt«-Schild, wie man es von der Autobahn kennt, wies mit der Spitze nach oben; daneben gab es ein rotes Stopp-Schild und einen der orangefarbenen Pfeile, die Umleitungen anzeigen. Breitscheid ging zu dem Opel und hob die Klappe des Kofferraums. Wie zu erwarten war, tummelten sich auch hier Schilder - diesmal die gelbe Variante von der Bundesstraße. Das oberste war ein Hinweisschild: »Meinerzhagen 5 Kilometer.«
»Wie kommen Sie an die Dinger?«, fragte ich.
Breitscheid bückte sich, nahm die Schilder auf den Arm und trug sie in die Garage.
»Sind Sie an so was interessiert? Das sind alles Originale. Natürlich ausrangierte.«
»Ich weiß nicht…«
»Sammler zahlen dafür eine Menge«, sagte er. »Das können Sie mir glauben.«
»Was machen die denn damit?«
Er zuckte mit den Schultern. »Manche hängen sie sich ins Wohnzimmer. Oder in die Einfahrt. Ich komme da günstig ran. Ich arbeite bei der Autobahnmeisterei, wissen Sie.«
Ich stellte mir vor, wie sich am Jägerzaun so ein monströses »Ausfahrt«-Schild machte.
»Um auf die ›Kaisermühle‹
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