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Rott sieht Rot

Rott sieht Rot

Titel: Rott sieht Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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als gelte es, die letzten Lose zu verhökern. »Das ist schöne Musik, das macht Spaß, das ist typisch Bergisch, das ist was für uns«, leierte er.
    Der Mann sprach mit leichtem Akzent, doch das tat der Geschwindigkeit, mit der er losquasselte, keinen Abbruch. Plötzlich verzog er das Gesicht und tat, als sei er über irgendetwas todtraurig.
    »Liebe Freunde«, sagte er bekümmert und ließ den Redeschwall stocken. »Ich muss feststellen, ihr habt mich enttäuscht. Jawohl, enttäuscht. Da nehme ich euch auf eine so schöne Fahrt mit, und ihr habt nichts Besseres zu tun, als mich hier arbeiten zu lassen.« Aus dem Publikum kam vorsichtiges Gelächter.
    Er breitete die Arme aus wie Moses am Roten Meer. »Macht euch die Arbeit Spaß?« Einige schüttelten den Kopf. »Das geht doch auch deutlicher, oder? Ich will eine Antwort hören! Also noch mal: Macht euch die Arbeit Spaß?« Ein einsames »Nein« brummte durch den Raum, und der Vorturner griff die Antwort gleich auf. »Seht ihr, mir auch nicht. Und deshalb bitte ich euch, wo wir doch so gemütlich zusammensitzen, nur um eines: Lasst mich nicht hängen!«
    Er nahm einen Pappkarton vom Tisch und hob ihn in die Höhe. »Hier habe ich was für euch. Da drin sind dreitausend Euro.« Er schauspielerte den Erstaunten, indem er den Mund aufriss.
    »Dreitausend - Euro?«, fragte er, als sei er selbst überrascht und betonte jedes Wort. »Als mein Chef mir das sagte, konnte ich es selbst nicht glauben. Und was ihr wahrscheinlich erst recht nicht glauben könnt: Diese dreitausend - Euro sind für euch. Diese dreitausend - Euro machen mich zum Starverkäufer. Was Einfacheres gibt’s gar nicht.«
    Er hob den Karton noch einmal an, als wolle er ihn ins Publikum werfen. »Wer will sie haben? Wer? Los, sagt schon!«
    Es dauerte eine Weile, bis etwas passierte. Ein älterer Herr mit Glatze, der links am Fenster saß, hob zögernd die Hand.
    »Ein Mutiger. Sehr gut, das gefällt mir! Wer will sie noch haben?«
    Es blieb bei dem einen. Wahrscheinlich hatten die anderen schon mehrere Kapitel der Verarschungsnummern hinter sich, die hier abliefen, und dabei ihre Lektion gelernt.
    »Also einer«, fasste der Mann zusammen. »Das reicht. Du kriegst die dreitausend - und ich sage dir, deine Frau wird sich freuen, wenn du nach Hause kommst.«
    Er warf dem Rentner einen verschwörerischen Blick zu. Der Angesprochene erklärte kleinlaut, seine Frau sitze neben ihm. Der Starverkäufer kam an den Biertisch, machte eine kleine Verbeugung und spielte den Höflichen. »Entschuldigen Sie, gnädige Frau, dass ich Sie übersehen habe. Aber Ihnen steht große Freude ins Haus.« Die Frau lächelte peinlich berührt und sah weg.
    Der Mann stellte den Karton ab und griff so ungestüm hinein, dass die Gläser auf dem Tisch klirrend aneinander stießen. Ich erkannte etwas Metallisches, das in transparentem Plastik eingepackt war.
    »Ein echtes Goldbesteck«, rief der Mann, als sei er selbst wieder ganz überrascht. »Ja«, sagte er zu den anderen im Raum. »Ihr habt richtig gehört! Ein echtes Goldbesteck. Da kann man auch mal applaudieren! Na los -nicht so verkrampft!« Tatsächlich klatschten einige müde, während er weiter auspackte.
    Als das Plastik auf dem Tisch lag, hob er die Hand wie ein Zauberer, der alles gleich wieder verschwinden lassen wird. »Und dieses Goldbesteck, das dreitausend Euro wert ist, bekommt ihr …« Er lief wieder nach vorn. »Nicht für dreitausend. Nicht für zweitausend. Nicht für zweifünf und nicht für tausend.«
    Er schwieg theatralisch.
    »Achtung - jetzt kommt’s.«
    Die Lichterkette blinkte eine Weile ins Leere.
    »Ich will nichts von euch dafür haben. Nichts, nichts, nichts.«
    Einige lachten.
    »Da schaut ihr, was? Jetzt denkt ihr, der Typ hat sich verplappert. Kein Wunder, dass der kein Starverkäufer ist. Verplappert hat er sich. Will nichts haben, verschenkt seine Ware …«Er holte Luft. »Aber ihr habt richtig gehört. Nichts. Gar nichts.« Wieder eine Pause. »Und zwar nichts als den reinen Materialwert.«
    Niemand regte sich. Seine enthusiastische Miene verwandelte sich in einen enttäuschten Ausdruck. »Moment, Moment, da kann ich doch nichts dran machen. Den Materialwert muss ich doch bekommen.« Und weinerlich fügte er hinzu: »Was soll ich denn meinem Chef sagen?« Niemand wusste es.
    »Wie hoch ist denn der Materialwert?«, fragte plötzlich Svetlana neben mir.
    »Na endlich«, schrie der Mann. »Endlich jemand, der mal die richtige Frage stellt.

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