Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
sie.
5
»Du bist ja doch zu Hause. Ich hatte fest damit gerechnet, heute ohne dich zu feiern.«
»Ich freue mich auch, dich zu sehen!«, blaffte Knutsson.
Lisa, seine Frau, zog eine Schnute und bevor sie sich falsche Hoffnungen machte, fügte er schnell hinzu: »Mein bloßes Erscheinen ist aber kein Grund davon auszugehen, dass ich mit euch feiern werde.«
Während der Fahrt nach Hause hatte er Zeit gehabt, seine Gedanken zu ordnen und sich darüber klar zu werden, dass er heute nicht in der Lage war, unter anderen Menschen zu sein. Die Müdigkeit der letzten Tage saß tief in seinen Knochen, aber noch schlimmer war die mentale Belastung. Diese Morde hatten nichts mit dem zu tun, was er von früheren Ermittlungen kannte. Sie gehörten zu einer anderen Welt, in die er hineingerutscht war und aus der er so schnell nicht wieder herauskam. Sie mussten den Mörder finden, aber gerade das war ihnen jetzt unmöglich gemacht worden. Mit den neuen Spuren hatte es sich ein wenig wie ein Durchbruch angefühlt, als hätte die Ermittlung nun richtig Fahrt aufnehmen können. Und dann war alles geplatzt. Er hätte so gerne mit Ingrid gesprochen. Ohne sie fühlte sich alles im Präsidium so unklar, so schwammig an, als könnte die Reichkrim ohne Weiteres alles übernehmen und sie könnten nichts dagegen tun. Vielleicht hätten sie um ihren Fall kämpfen sollen? Vielleicht hätten sie bei der neuen Ermittlung mitmachen dürfen, wenn sich nur jemand getraut hätte, den Mund aufzumachen. Nun war alles weg und sie wurden nicht mehr gebraucht. Für Ingrid war es bestimmt eine schwere Niederlage und er hatte nichts getan, um es zu verhindern.
»Ach, sei doch nicht so barsch! Ich freue mich, dass du da bist, und werde gleich bei Solbergs anrufen und sagen, dass du auch kommst, um vier sollen wir da sein.«
»Lisa, es tut mir leid, es hat nichts mit dir zu tun, aber ich kann heute nicht feiern.« Knutsson legte seine Jacke über den Stuhlrücken und setzte sich.
»Was ist denn passiert? Wie kommt es überhaupt, dass du so früh nach Hause konntest?«
»Die Reichkrim hat uns den Fall entzogen.«
»Nee, ist es denn so schlimm, dann muss es ja etwas ganz Großes sein!«
Lisa stellte die Schüssel mit Erdbeeren, die sie gerade gewaschen hatte, auf den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl ihrem Mann gegenüber.
»Ja, wenn drei Menschen wie Märtyrer hingerichtet werden, ist es etwas Großes«, sagte Knutsson mit müder Stimme. Manchmal hatte er das Gefühl, dass seine Frau nicht die geringste Ahnung von dem hatte, was er bei der Arbeit machte.
»Dann ist es wohl ein Glück, dass jemand anderes jetzt übernimmt. Für Ingrid kann es ja auch nicht einfach sein, so neu als Chefin und so viel Verantwortung.«
Knutsson spürte die Wut in sich hochsteigen.
»Ja, es ist verdammt schwierig, wenn einem der Fall entzogen wird, aber Ingrid hat die Ermittlung ganz souverän geleitet.«
Er war mit Schwung aufgestanden und jetzt atmete er tief durch, um sich wieder zu beruhigen.
»Lasse, was ist denn los? Ich meinte ja nur …«
»Ich fahre jetzt mit dem Boot raus. Außerdem habe ich einen Steg zu reparieren.«
Es tat ihm leid, dass er so aufgebracht war und dass es Lisa war, die seine ganze Frustration abbekam, aber manchmal konnte er selbst seine Frau nicht leiden. Im Schuppen suchte er sein verstaubtes Angelzeug zusammen, nahm die Schwimmweste vom Haken und ging zurück in die Küche. Auf dem Tisch stand eine Plastikdose mit geschmierten Butterbroten und eine mit Erdbeeren und Schlagsahne. Für dich! Stand auf dem kleinen Zettel. Jetzt musste er doch lächeln. Mit einem Grunzen steckte er das Essen in seinen Rucksack.
6
Nachdem Hultin so unverhofft zu einem frühen Feierabend und einem freien Wochenende gekommen war, tat sie, was sie immer tat, wenn sie die Zeit dazu hatte. Sie trainierte. Sie fuhr mit ihrem Rennrad in westlicher Richtung aus dem Stadtzentrum hinaus Richtung Värendsvallen. Die altehrwürdige Sportanlage, die in den Sechzigerjahren eingeweiht worden war, hatte im vergangenen Jahrzehnt viel Hohn und Kritik einstecken müssen. Sie sei längst nicht mehr zeitgemäß, hatte es geheißen, und die sportlichen Zugpferde der Stadt, der Erstliga-Eishockeyclub Växjö Lakers und der traditionsreiche Fußballverein Östers IF , bräuchten Spielstätten, die ihren zukünftigen Triumphen würdig seien. Ein hochrangiger Kommunalpolitiker hatte gar in der Lokalzeitung gespottet, die Betonschüssel, in der Östers seine Heimspiele
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