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Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Titel: Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Signe Danielsson , Roman Voosen
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brüllten sie die eingängigen Strophen so laut mit, dass die Töne aus dem Smartphone, das Adam hochhielt, kaum zu hören waren.
    » ... aber das war lange her, nun torkele ich schon seit Langem nicht mehr!«
    Sie hüpften aneinander gestützt in einem nicht ganz treffsicheren Takt zu der Musik, stürzten halb hin, krabbelten ein Stück und fielen dann unter Lachsalven endgültig zu Boden. Lindholm spürte den Alkohol in seinem Körper und das schiere Glück überwältigte ihn. Seine nackten Füße gruben sich tiefer in den weichen Sand. Unten am Wasser sah er Sonja. Sie lachte.
    Seine Welt stand still. Meer, Freunde, Alkohol, die Songs von Håkan Hellström und vor allem Sonja. Was mehr könnte man sich in einer Mittsommernacht wünschen? Hier, genau hier und genau jetzt war sein Leben. Adam fummelte an dem Smartphone. Hellström wurde weggedrückt.
    »Noch ein Bier?« Camel hielt ihm eine Flasche hin.
    »Hat niemand etwas Härteres dabei? Was ist mit dem Wodka von Emilio?«
    »Den hast du schon leer getrunken, du Penner!«
    »Echt, nee, weiß ich nicht, war ja kaum noch was da, als ich kam …«
    »Anton hat Whisky dabei«
    »Ja, her damit!«
    Ein Plastikbecher mit einer bräunlichen Flüssigkeit wurde ihm gereicht und als er sie in einem Zug leer trank, spürte er den brennenden Alkohol in seiner Brust.
    Aus Adams Smartphone strömte jetzt Kent . Sentimentale Strophen von früher. Lindholm musste an sein Abitur denken. An lange Frühsommernächte, in denen sie gefeiert hatten, als gäbe es kein Morgen. Jetzt war der Morgen gekommen und auch der Tag danach. Er war dem ernsten Leben begegnet, dem echten, erwachsenen Leben, und er war von ihm gefangen genommen worden.
    Er hatte sich hingesetzt, nun lehnte er sich zurück und ließ seinen Kopf in den weichen Sand sinken. Die Welt um ihn herum drehte sich und es fühlte sich so an, als würde sein Körper abheben. Er bemühte sich, einen festen Punkt zu finden, aber alles schwamm umher. Sein Körper schwebte und war zugleich schwer. Er schloss die Augen. Von weit weg hörte er Stimmen und Musik. Vor seinem inneren Auge sah er den Leichnam. Der nackte Körper, durchdrungen von Pfeilen. Er schüttelte den Kopf in einem Versuch, die Gedanken an die Arbeit loszuwerden, aber sie waren da und er konnte sie nicht verdrängen. Etwas drückte auf seinen Magen. Auf einmal hatte er Angst. Neben seiner Welt gab es eine andere, die von ganz anderen Regeln beherrscht wurde. Grausamen, abartigen Regeln, die nichts mit diesem tollen Strand, mit seiner Musik, seinen Freunden, mit Sonja zu tun hatten. Warum war er um Gottes willen Polizist geworden? Warum setzte er sich dem freiwillig aus? Der Druck auf seinem Bauch wurde stärker, so stark, dass er ihn nicht aushalten konnte. Er stützte sich auf den Ellbogen hoch, drehte sich zur Seite und übergab sich. Heftig und unkontrolliert. Als er den Blick hob, sah er Sonja neben sich sitzen. Sie griff nach seiner Hand.
    8
    Stina Forss wartete auf Lehmanns Kontaktperson aus der Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen in einem Biergarten im Görlitzer Park. Eine Lichterkette tupfte bunte Punkte in die Dämmerung. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie seit dem Frühstück kaum etwas gegessen hatte. Sie bestellte ein Nudelgericht und ein großes Bier. Der Mann, der sich einige Minuten später zu ihr an den Tisch setzte, stellte sich als Frank Bröring vor. Man sah es sofort: Mit seinem Gesicht stimmte etwas nicht. Sein rechtes Augenlid bedeckte den Augapfel nahezu komplett, kleine Narben zogen sich über die Wange, seine Nase wirkte schief und verwachsen. Natürlich bemerkte er ihren Blick. Er schaute auf ihr hängendes Augenlid.
    »Schön, jemanden zu treffen, der sich nicht schämt, einen anzusehen«, sagte er und lächelte. Er sprach träge und zischend, so als verfehle seine Zunge in Mund und Gaumen die Stellen, die sie treffen sollte, immer um ein kleines bisschen.
    »Geschlossener Jugendwerkhof Torgau«, fuhr er fort, »ein 27er-Schraubenschlüssel, von einem Aufseher geworfen, gleich an meinem zweiten Tag. Wurde nie richtig behandelt. Ich war damals zwölf.« Er zuckte mit den Schultern. »Die Heime der Jugendhilfe in der DDR waren kein Zuckerschlecken. Die in Westdeutschland allerdings auch nicht, zumindest nicht bis in die Siebzigerjahre hinein. Es lief doch neulich wieder dieser alte Fernsehfilm, Bambule , auf Arte oder 3Sat oder so.«
    »Bambule? Nie gehört, was soll das heißen?«
    »Protest oder Aufstand von Gefangenen.

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