Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
der Ork, etwas ändern, dachte er und drehte sich eine Zigarette. Als er auf dem Balkon stand und rauchte, hörte er, wie drinnen in der Wohnung sein Handy piepte. Vielleicht Anette?
Es hatte da gestern so einen Moment gegeben. Nach dem missglückten Date, über das sie beide hatten lachen müssen. Es war das erste Mal seit Monaten gewesen, dass sie gemeinsam über etwas gelacht hatten. Nach der Katastrophe, die ihr Beziehungsversuch gewesen war. Das Nine-eleven seiner bisherigen Beziehungen. Jedenfalls war da gestern dieser merkwürdig irritierende Moment gewesen, ein unerwartetes emotionales Fragezeichen, wo doch längst alles geklärt sein sollte zwischen ihnen. Und dann später am Abend, als sie zusammen im Präsidium an den Computern und Telefonen gesessen hatten: Was machst du eigentlich Mittsommer, hatte sie gefragt. Keine Ahnung, hatte er geantwortet und mit den Schultern gezuckt. Und du? Anette hatte ebenfalls mit den Schultern gezuckt. Und dann war da dieser merkwürdige Blick gewesen. Und deshalb drückte er jetzt seine halb gerauchte Zigarette aus und ging ins Wohnzimmer, wo sein Handy lag.
Ja, sein Herz pochte.
Eine neue Nachricht, stand da.
Sie war von seiner Schwester.
Eine halbe Stunden später saß er auf einer Picknickdecke und schaute seinen beiden Neffen zu, die im Gras rumtobten. Um ihn herum standen Schüsseln und Schälchen mit diversen Salaten, es gab Jungkartoffeln und eingelegte Heringe, Erdbeeren mit Sahne und dazu einen tollen Rhabarberkuchen. Er war der Letzte, der gutes Essen verachtete, und als seine Schwester ihm am Telefon versichert hatte, dass das Essen auch für ihn reichen würde, hatte sie nicht gelogen; mit dem Picknick würden sie den Rest des Abends beschäftigt sein. Der Teil der Feier mit der Mittsommerstange und dem Tanz war zum Glück schon vorbei, als er dazugestoßen war. Sonst wäre er auch nicht gekommen, das hatte er seiner Schwester ausdrücklich gesagt am Telefon, als sie ihn überredet hatte, zu ihnen nach Evedal hinauszukommen. In seiner Vorstellung waren solche öffentlichen Mittsommerfeiern das Letzte, womit er etwas anfangen konnte. Er hatte seit seiner Kindheit an keiner mehr teilgenommen. Wieso auch? Ohne eigene Kinder hatte er dort wenig zu suchen gehabt. Es war nicht gerade der Ort, an dem man attraktive Singlefrauen traf. Und wenn, dann mit Sicherheit nur solche, die schon Kinder hatten. Alleinerziehende Mütter, ein rotes Tuch. Deren Verzweiflung witterte er sieben Meilen gegen den Wind.
Na ja, jetzt war er nun mal hier und es war alles gar nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte. Gerade tat es ihm gut, in der Abendsonne zu sitzen, kühles Bier zu trinken und das ganze Spektakel um ihn herum zu beobachten. Er war auch im Nachhinein ganz froh, dass er eine gute Ausrede gegenüber Anette gefunden hatte. Es wäre dumm, wieder etwas mit ihr anzufangen. Er konnte sich nicht erklären, warum sie auf einmal, wenn auch nur für einen Moment, so etwas wie Nähe zueinander gesucht hatten. Sie mussten doch wissen, dass es nur wieder in einer Katastrophe enden konnte. Vielleicht lag es an der Arbeit. Dieses Gefühl, sich in einem Tunnel zu befinden, auf dessen anderer Seite ein Massenmörder wartete. Das normale Leben hatte sich gestern Nacht so weit weg angefühlt und die Einzige, mit der er seine Unsicherheiten und Ängste unausgesprochen hatte teilen können, war in diesem Moment Anette gewesen. Als er nun langsam in der Außenwelt ankam, erschien ihm ein gemeinsamer Mittsommerabend mit Anette eher gefährlich.
Er legte sich noch ein Stück Kuchen auf seinen Teller. Seine Schwester war eine Meisterin im Backen. Manchmal fragte er sich, warum sie so unterschiedlich geworden waren. Als sie klein waren, hatten sie immer viel zusammen gespielt. Dann hatte sie aber früh Kinder bekommen und ihre Lebensstile hatten sich in zwei gegensätzliche Richtungen entwickelt.
»Kommst du mit runter zum Wasser?«, fragte seine Schwester, die mit ihrem jüngsten Sohn Pedro auf dem Rücken zurückkam.
»Ja, gerne. Aber ich habe keine Badesachen dabei. Wollt ihr denn reinspringen?«
»Ja, darauf freue ich mich schon seit Stunden. Ich bin total verschwitzt vom Tanzen und Fußballspielen.«
»Ich will auch baden! Weißt du, dass ich schon schwimmen kann, Hugo?« Der kleine Rabauke kletterte vom Rücken seiner Mutter herunter und lief zu der Tasche, in der ein Berg aus Handtüchern, Schwimmärmchen und Badesachen lag.
»Echt, aber du bist doch erst drei?«
»Nee,
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