Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
nickte mit einem Gesichtsausdruck, der offenließ, ob er nun das Vereinsgelände, Hissö und den Helgassee oder die Gegend im Allgemeinen meinte.
»Du bist nicht im Verein, oder? Suchst du einen Platz für dein Boot? Dann muss ich dich wohl enttäuschen. Unsere Warteliste reicht mittlerweile bis 2018.«
»Ich suche einen Bootsfahrer«, sagte Knutsson. Er erklärte die Umstände.
»Am Samstagabend? Oder am frühen Sonntagmorgen?«, fragte Henriksson beflissen. »Da war ich ausnahmsweise nicht hier. Aber es gibt eine Liste, in der man sich ein- und austrägt, wenn man rausfährt. Ich nenne sie: das Logbuch.« Henriksson zwinkerte verschwörerisch. »Und wenn ich damit helfen kann, einen Zeugen ausfindig zu machen und einen Kriminalfall aufzuklären, dann werfe ich selbstverständlich gerne einen Blick hinein.«
Henriksson hielt Knutsson die Tür auf und winkte ihn mit großer Geste hinein. »Außerdem darf ich anmerken, dass wir in unserer bescheidenen Hütte seit zwei Wochen einen dieser modernen Kaffeeautomaten haben. Und ich rede hier nicht von diesen albernen Kapseln, ich rede von einem Vollautomaten .« Er betonte das Wort, wie er zuvor Logbuch betont hatte. »Gestiftet von einem großzügigen Sponsor, der an dieser Stelle unerwähnt bleiben soll.« Er hüstelte. »Der kann sogar Latte macchiato .«
»Der Sponsor?«
»Der Vollautomat!«
»Ach so. Kann der auch Kaffee?«, fragte Knutsson.
Der Milchkaffee, den Henriksson mit seiner zischenden, stöhnenden Maschine zusammenbraute, schmeckte in der Tat ausgezeichnet. Obendrein erwies sich das sogenannte Logbuch als Volltreffer. In der Nacht von Samstag auf Sonntag war tatsächlich ein Motorboot unterwegs gewesen, von abends um elf bis morgens um acht.
»Johan Sjöfors, er geht häufig nachts angeln. Ich kenne ihn ganz gut. Johan hat viele Reusen ausgelegt, den ganzen See entlang, bis rauf nach Åby. Er räuchert auch selbst. Einmal hat er mir einen Aal geschenkt, der war vielleicht köstlich!«
»So, so«, brummte Knutsson und leckte sich Milchschaum von der Oberlippe. Dann kam ihm eine Idee.
»Verkauft ihr hier so etwas auch, Anglerzubehör und Kram für die Boote? Reusen? Angelhaken? Harpunen?«
»Harpunen? Wir sind doch nicht am Mittelmeer! Was für Fische will man denn hier mit Harpunen fangen? Haie etwa?« Henriksson lachte. Knutsson wurde rot.
»Was weiß ich. Ich meinte halt Angelzubehör im Allgemeinen.«
»Nein, wenn du so etwas brauchst, dann bist du bei uns an der falschen Adresse. Wir sind ein Bootsclub, kein Anglerverein. Du musst zum Fischerkönig .«
»Wer ist der Fischerkönig?«
»Der Laden heißt einfach so. Alle hier, die angeln, gehen zum Fischerkönig . Liegt an einem der Verkehrskreisel am Mörnersväg.«
»Mmh.«
Knutsson dachte nach. Über die Harpune und die Angelhaken, mit denen das Fleischstück auf Musön präpariert war. Und über den Nachtangler, der während der Tatzeit, die Kimsel ermittelt hatte, auf dem Helgasee unterwegs gewesen war.
»Sag mal, gäbe es vielleicht noch eine zweite Tasse von diesem wunderbaren Kaffee?«, fragte er und hielt den leeren Becher in die Luft.
Henriksson lächelte breit.
»Aber selbstverständlich!«
»Und bestünde gegebenenfalls sogar die Möglichkeit, ein kleines Gebäckstückchen ...«
»Ich habe Amarettini bianchi hier, aus dem Tessin«, säuselte Henriksson.
»Ein Keks tät’s auch«, sagte Knutsson und beglückwünschte sich zu seinem erfolgreichen Morgen. Dieser Dag Henriksson schien gar kein so übler Bursche zu sein. Man sollte die Leute nicht immer nach der Farbe ihrer Polohemden beurteilen.
3
Nach drei Saunagängen und ebenso vielen Dosen Bier hatte Stina Forss geschlafen wie ein Baby. Am Morgen verabschiedete sie Oleg, der zurück nach Berlin musste, mit einer herzlichen Umarmung. Sie fegte die Hütte durch, stellte den Müll auf die Straße und brachte den Schlüssel zurück zu der Immobilienfirma, die das Ferienhaus am Helgasee verwaltete. Über das, was in der Geburtstagsnacht zwischen ihnen und mit den jungen Dänen passiert oder auch nicht passiert war, hatten sie nicht geredet. Das war auch nicht nötig gewesen. In ihrer seit mehr als zehn Jahren andauernden Freundschaft waren keine klärenden Gespräche notwendig. Zu Hause, in der kleinen Dachwohnung in Moheda, im Haus der Familie ihrer Cousine Maj, zog sie sich um und organisierte ihren Ermittlungstag. Nyström hatte sie offiziell vom Streifendienst befreit und der Abteilung für Gewaltverbrechen zugeteilt.
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