Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Sie hatte von ihrer Chefin eine Liste mit den Namen der politischen Freunde Dahlins bekommen, die Sara Saale zusammengestellt hatte. Sie erreichte drei der Genossen telefonisch und verabredete Gesprächstermine.
Joel Åhsberg lebte in Alvesta, einer Kleinstadt zwanzig Kilometer westlich von Växjö. Er arbeitete in der Forstwirtschaft. Um zu dem Waldstück zu gelangen, in dem Åhsberg beruflich zu tun hatte, fuhr Forss von Moheda die 126 in südlicher Richtung, passierte den Golfplatz von Alvesta und den Dansee, bog rechts auf die 25 und hielt auf den Sjöatorpasee zu, bis sie den Waldweg fand, den Åhsberg ihr beschrieben hatte. Der unbefestigte Weg war tief ausgefurcht, zwischen den sandigen Fahrrinnen wuchs hohes Gras, und nachdem zum zweiten Mal eine Wurzel oder ein Stein mit einem unguten Geräusch gegen den Unterboden ihres Polos geschlagen hatte, entschloss sie sich, den Wagen stehen zu lassen und zu Fuß weiterzugehen. Die Entscheidung erwies sich als richtig, denn der Forstweg wurde zunehmend unzugänglicher und war zweifellos nicht für PKWs, sondern für Spezialfahrzeuge mit sehr hohem Radstand gemacht. Bald hörte Forss Motorengeräusche und kreischende Sägen. Sie hatte sich unter Forstarbeitern kräftige Kerle in grob karierten Hemden vorgestellt, die mit Äxten und Handsägen den Bäumen zu Leibe rückten. Das Bild, das sie auf der Lichtung am Ende des Pfades erwartete, sah jedoch viel eher aus wie eine Szene aus Transformers . Rot lackierte Ungetüme mit panzerähnlichem Kettenantrieb oder Reifen, die höher waren als sie selbst, fraßen sich mit ihren Greifern, Sägen und Zangen wie überdimensionierte mechanische Insekten in das Grün. Baumstämme knickten wie Streichhölzer, splitterten, wurden emporgehoben, entastet und entlaubt. Sägespäne überall. Es roch nach frischem Harz und Abgasen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Menschen sah Forss zunächst keine, auch wenn sie wusste, dass hinter den spiegelnden Scheiben in den Fahrzeugkabinen jemand sitzen musste, der die riesenhaften Maschinen bediente. Irgendwann hielt eines der Weltraumfahrzeuge vor ihr inne. Eine Tür im Führerhäuschen öffnete sich und ein dünner, mittelgroßer Mann in einem ölverschmierten Overall kletterte zu ihr hinunter.
»Hej«, sagte er, »ich bin Joel.« Er nahm seine Schirmmütze und seine Lärmschutzkopfhörer ab und lange Haare fielen bis auf seine Schultern. Unter dem bis auf die Hüften heruntergekrempelten Arbeitsanzug erkannte Forss ein schwarzes T-Shirt mit einem Iron-Maiden-Aufdruck. Das Motiv zeigte einen Menschen ohne Haut, ein Skelett mit Muskeln, das allerdings eine Jeans trug und mit einer zerfetzten Großbritannienfahne in den Händen auf den Betrachter zustürmte. Forss gab dem jungen Mann die Hand und stellte sich vor.
»Gehen wir doch in den Container«, schlug Åhsberg vor. »Dort gibt es gekühlte Getränke und wir können uns unterhalten.«
Der mobile, stählerne Aufenthaltsraum der Waldarbeiter erwies sich als gemütlicher und besser ausgestattet, als er von außen ausgesehen hatte. Forss nahm auf einem bequemen Stuhl Platz, Åhsberg nahm zwei Dosen Eistee aus einem Kühlschrank und setzte sich ihr gegenüber. Auf dem Tisch zwischen ihnen standen geschnitzte Tierfiguren.
»Kunstvoll«, bemerkte Forss, »und sehr ausdrucksstark.«
»Danke«, sagte Åhsberg und lächelte. In seinen Wangen bildeten sich Grübchen. »Ist nur eine Beschäftigung für die Mittagspause.«
»Janus Dahlin ist tot«, sagte Forss schnell. »Man hat ihn ermordet.«
Åhsbergs Wangen glätteten sich. Er sah jetzt sehr jung aus. Er ist höchstens Mitte zwanzig, dachte Forss.
»Oh«, machte der Junge. Mehr sagte er nicht. Er wirkte erschrocken und noch kindlicher als vorher. So, als wären seine Augen größer geworden. Der Overall, die Ohrenschützer um seinen Hals und das gruselige T-Shirt wirkten mit einem Mal wie eine Verkleidung.
»Warum?«, fragte er schließlich. Er starrte Forss an, aber sie antwortete nicht, sondern trank von ihrem Eistee.
»Das waren irgendwelche Bonzen. Oder Neonazis. Er wäre ja nicht das erste Opfer rechtsradikaler Gewalt. Als Linker, der den Kampf aufzunehmen wagt, lebt man gefährlich im heutigen Schweden«, flüsterte er nach einer Weile. Dann war er wieder still. Auch Forss sagte nichts.
»Wir hatten da eine Art Diskussionsrunde«, sagte er irgendwann leise.
»Es ging um Politik, oder?«
»Ja. Politik ist wichtig. Gewerkschaften sind wichtig. Und Solidarität. Wenn die nicht vorhanden
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