Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
es um den alten Mann eine unsichtbare Mauer, jahrzehntealt. Nyström dachte plötzlich an Sara Saale und ihren Schmerz. Sie hatte Janus Dahlin auf eine andere Weise geliebt. Auf eine nahe, eine gute Weise.
Aber wer war sie schon, die Familienverhältnisse der Dahlins zu verurteilen?
Das stand ihr nicht zu.
Sie trank von ihrem Mineralwasser. Mit einem Mal fühlte sie sich kraftlos und resigniert.
12
Auf der Autofahrt zurück nach Växjö dachte Lars Knutsson über die Yogaübungen nach, die Johan Sjöfors durchgeführt hatte, um seine Erinnerung zu stimulieren; unglaubliche Verrenkungen, bei denen Sjöfors Ohrläppchen von seinen Zehen berührt wurden. Knutsson selbst hatte dagegen schon Schwierigkeiten, beim Fußnägelschneiden seine Zehen mit den Händen zu erreichen. Genutzt hatten Sjöfors Bemühungen indessen wenig: Mehr als die verschwommene Ahnung, möglichweise noch das ein oder andere Boot auf dem Wasser oder campende Touristen am Ufer gesehen zu haben, hatte seine Erinnerungstechnik nicht zutage gebracht. Der kleine Ausflug nach Råshult hatte Knutsson also lediglich ein biodynamisches Mittagessen und ein schlechtes Gewissen in Bezug auf seine Unbeweglichkeit beschert, das allerdings schon wieder verblasste, als er einen der Verkehrskreisel des Mörnersvägs verließ und auf den Parkplatz des Fischerkönigs einbog. Er stellte seinen Wagen ab und betrat das Geschäft. Hier gab es alles, was das Anglerherz begehrte: Ruten, Rollen, Schnur. Netze und Reusen. Neonfarbene Schwimmer und Posen. Blinker, Wobbler und Gummifische in hundertfachen Variationen. Das Geschäft war gut gefüllt und alle drei Verkäufer waren in Beratungsgesprächen. Knutsson blätterte in einem Angelmagazin, bis er an der Reihe war. Auf einem der abgedruckten Fotos hielt ein Mann, der eine große Ähnlichkeit mit Ministerpräsident Frederik Reinfeldt hatte, aber laut Bildunterschrift Jan-Kalle Seghers hieß, einen 15-Kilo-Karpfen in die Kamera. Was für ein dicker Johnny, dachte Knutsson und pfiff anerkennend durch die Zähne. Sofort verspürte er den Impuls, sich gleich hier eine neue Karpfenrute samt Bissanzeiger und allem Pipapo zu kaufen, dann fiel ihm das teure Equipment ein, das er sich vor Jahren zugelegt hatte und das seitdem in seinem Bootsschuppen mehr oder weniger ungenutzt vor sich hin staubte.
Als die Nummer über dem Verkaufstresen aufblinkte, die er beim Eintreten neben der Tür gezogen hatte, klappte er das Heft zu und stellte es zurück ins Regal. Er trat auf einen jungen Verkäufer zu, der wie seine beiden Kollegen eine grüne Schirmmütze mit eingesticktem Kronen-Logo trug.
»Fördert die Glatzenbildung«, sagte Knutsson und zeigte auf das Käppi.
»Was?«, fragte der Junge.
»Egal«, sagte Knutsson. Er zeigte seinen Polizeiausweis, griff in die Sporttasche, die zu seinen Füßen stand, und holte etwas heraus. Der Pfeil aus Aluminium war fünfundsiebzig Zentimeter lang und in einem durchsichtigen Kunststoffbeutel der Asservatenkammer eingepackt. Er hatte eine blutverkrustete, aufgeschraubte Spitze mit Widerhaken und am Ende eine Öse.
»So etwas verkaufen wir hier nicht«, beeilte sich der Junge zu sagen. »Das dürfen wir gar nicht«, fügte er hinzu. »Harpunenfischerei ist illegal und der Verkauf ist nur an Leute erlaubt, die eine Lizenz haben.«
»Das ist klar«, sagte Knutsson und gab sich Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Er war bisher davon ausgegangen, dass man eine Harpune an jeder Ecke erwerben konnte. Und auf jeden Fall beim Fischerkönig .
»Aber mal angenommen, jemand wollte ohne Lizenz eine Harpune kaufen, vielleicht weil er sie außerhalb Schwedens benutzen will, beim Tauchen auf den Malediven zum Beispiel, wo würde er denn fündig werden?«
»Ist das hier ein Test?«, fragte der Junge.
»Nein«, sagte Knutsson mit Nachdruck. »Das ist die Bitte eine polizeiliche Untersuchung zu unterstützen.« Er wandte den Kopf schnell nach links und rechts, dann beugte er sich so weit über den Tresen, wie es sein Bauch zuließ, und flüsterte: »Der Pfeilmörder von Humlehöjden.«
»Ach so«, flüsterte der Junge zurück. Seine Augen hatten sich geweitet. Natürlich hatte er davon in der Zeitung gelesen. Er zwinkerte Knutsson verschwörerisch zu.
»Zum Beispiel in Norwegen«, sagte er dann. »Dort ist Harpunieren erlaubt und da werden die Dinger auch verkauft. Oder in Dänemark. Oder sonst so ziemlich überall auf der Welt. Im Internet natürlich. Man bekommt sie also, wenn man will. Die Sache
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