Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
ist eher, dass man sie in unseren heimischen Gewässern kaum gebraucht. Zum einen benötigt man zum Harpunieren eine gute Sicht: klares Wasser und viel Sonnenschein, hierzulande eher selten. Zum anderen sind Angeln oder Netze viel effektiver, da die meisten Fische natürlich scheu sind, vielleicht mal abgesehen von Barschen, aber dafür ist so ein Mordsding hier völlig überdimensioniert. Wenn du mich fragst: Harpunen sind eher etwas fürs Mittelmeer.«
Er hob den Pfeil in seiner Verpackung vorsichtig hoch.
»Ist das hier einer von den Pfeilen, die in dem Leichnam gesteckt haben?«, fragte er ehrfurchtsvoll.
Knutsson nickte. Dann nahm er dem Jungen den Pfeil aus der Hand und legte ihn zurück auf den Tresen. Er hatte das vage Gefühl, dass er das mit dem Pfeilmörder vielleicht nicht hätte sagen sollen.
»Für einen solchen Pfeil braucht man eine Harpune mit fünfzig Zentimetern Rohrlänge. Drucklufttechnik. An der Öse hinten am Pfeil wird normalerweise die Leine befestigt, mit der man dann die Beute einholt. Falls man getroffen hat, natürlich.«
»Natürlich«, sagte Knutsson. Dann fiel ihm etwas anderes ein. Er kramte erneut in seiner Sporttasche und förderte einen zweiten Kunststoffbeutel zutage, der die Angelhaken enthielt, die in dem präparierten Fleischstück auf Musön gefunden worden waren.
Dem Jungen genügte ein kurzer Blick.
»Ganz normale Drillingshaken, brüniert, Größe vier. Verkaufen wir täglich x-fach.«
»Ach so«, sagte Knutsson.
»Kann ich sonst noch irgendwie behilflich sein?«, fragte der Junge. »Bei der polizeilichen Ermittlung und so ...«, fügte er mit leiser Stimme an.
»Nein, danke«, sagte Knutsson. »Dass heißt, doch. Ja. Eine Frage hätte ich da tatsächlich noch. Wer genau ist eigentlich dieser Fischerkönig ?«
»Das war der Spitzname des Typen, der diesen Laden ursprünglich einmal eröffnet hat. Der ist aber schon vor Jahren nach Kanada ausgewandert.«
»Bestimmt, um Lachse zu fangen«, brummte Knutsson.
»Nein«, sagte der Junge. »Soweit ich weiß, hat er drüben eine Yogaschule aufgemacht.«
13
Stina Forss hatte sich einen Mathematiker anders vorgestellt: vergeistigter, vielleicht verhuschter, auf jeden Fall unscheinbarer, aber das war natürlich ein idiotisches Vorurteil, das sah sie in dem Moment ein, in dem Martin Högvall ihr die Tür öffnete und sie hereinbat. Högvall hatte die physische Präsenz eines Leistungsschwimmers oder eines Kampftauchers, dachte Forss. Obwohl er sie anlächelte, spürte sie die aggressive Ausstrahlung des Mannes, die nichts mit der Breite seiner Schultern, nichts mit seinen kantigen Gesichtszügen zu tun hatte. Sein Händedruck war überraschend sanft, konnte aber die Feindseligkeit, die in seinem Blick lag, genauso wenig überspielen wie seine höflichen Worte. Etwas in ihr reagierte auf diese Ambivalenz.
Högvall blieb in der geöffneten Tür stehen, während sie eintrat, sodass sie sich nahe an ihm vorbeidrängen musste. Er roch nach Zedernholz und Kernseife. Sein Haus war dunkel und klein. Vielleicht wirkte es auch nur so, weil Högvall die Statur eines Riesen hatte. Auch ins Wohnzimmer fiel kaum Licht, obwohl die Sonne draußen im Zenit stand. In einer halben Woche war der hellste Tag des Jahres, ging es Forss durch den Kopf. Möglicherweise war das Haus nach Norden ausgerichtet. Aber warum sollte man so bauen?
»Ich weiß, dass Janus tot ist«, sagte Högvall und sah sie an. Seine Pupillen waren klein und wirkten merkwürdig oval, wie bei einer Katze. Vielleicht lag es an der Art, wie das wenige Licht in den niedrigen Raum fiel.
»Es kam in den Nachrichten. Mord, so heißt es.«
»Ja«, sagte Forss. Sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. Sie versuchte Högvall zu fixieren, seinen Blick einzufangen, doch sie sah immer weniger, als würde das Licht in dem Raum schwinden. Vor ihr saß eine Silhouette aus Zedernholz und Seife. Nur da, wo seine Augen waren, gab es ein Glitzern.
»Sex«, sagte sie. »Was hatte Janus Dahlin für ein Sexding am Laufen?«
Der Dunkle schwieg. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Das einzige Helle im Raum war ihr ärmelloses Shirt. Es leuchtete. Wenn sie an sich heruntersah, konnte sie sehen, wie sich ihre Brustwarzen unter dem Stoff abzeichneten.
»Er hat in der Gegend rumgefickt«, sagte Högvall schließlich. »War immer heiß, trotz seines Alters. Oder vielleicht gerade deswegen. Wer weiß? Ich habe keine Ahnung. Es geht mich auch nichts an.«
»Sara Saale?«
»Sie waren ein
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