Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
sein, wie schnell die wirklich sind, wenn es um einen high priority case geht. Sonst warten wir ja immer wochenlang auf die Ergebnisse.«
» High priority case? «
»Zitat Edman.«
»Und was sagt dein Gefühl, Bo?«
Örkenrud hob seine Schultern und ließ sie wieder fallen.
»Mit Gefühlen ist das so eine Sache. Aber wenn du direkt fragst: Einerseits spricht sehr vieles dafür, dass es sich um denselben Täter handelt. Zwei so bestialische Taten in mehr oder weniger unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe. Beide Morde zur selben Uhrzeit begangen. Und dann dieses Märtyrerding, das ihr herausgefunden habt. Das sind schon viele Parallelen.«
Er stockte, kaute auf seiner Lippe.
»Ich höre da ein Aber heraus.«
Ein flüchtiges Lächeln glitt über sein Stoppelgesicht.
»Aber es gibt auch Unterschiede«, sagte er.
»Und zwar?«
Nyström hörte ihrer Stimme die Ungeduld an.
»Da ist zum einen der modus operandi . Der Mörder von Janus Dahlin hat die große Bühne gesucht. Eine dramatische Inszenierung, die bis ins kleinste Detail geplant war. Er hat Dahlins Gewohnheiten ausgekundschaftet, tage- oder womöglich wochenlang. Er hat auf der Insel einen Hinterhalt arrangiert, ihn zu Tode gefoltert, die Bootsfahrt hinüber nach Humlehöjden vorbereitet, um ihn von diesen verrückten, verkleideten Bogenschützen finden zu lassen. Wer weiß, vielleicht hat Stina tatsächlich recht mit ihrer Annahme, dass er auf die Reaktion von diesem italienischen Gebetsbruder spekuliert hat. Er hat sogar Fleisch mit Angelhaken präpariert, um den Hund außer Gefecht zu setzen. Das alles folgte einem akribischen Plan. Struktur und Sadismus, Hand in Hand. Bei Andersson ist dagegen alles eine Nummer kleiner.«
»Wie meinst du das?«
»Weniger spektakulär. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll.«
»Bo! Man hat ihm den Kopf und die Hände abgetrennt und in ein Aquarium geworfen!«
»Ja, ja, aber das meine ich nicht. Ich meine etwas anderes. Den Rahmen des Spektakels von mir aus. Die Manege, seine Bühne. Sie ist kleiner gewählt. Dieselbe Brutalität, aber auf einem niedrigeren Podest. Manches wirkt so zufällig. Da ist die Kollegin, die ihn findet, weil sie seine Comichefte nicht zerknicken will und deshalb ins Haus geht. Genauso gut hätte vorher ein x-beliebiger Nachbar oder ein neugieriges Kind auf die offene Tür reagieren können. Es ist so vollkommen willkürlich. Wo sind hier die Bogenschützen, wo ist hier der Mönch? Und dann dieses kleinbürgerliche Wohnzimmer. Wie passt das zu der Legende vom heiligen Adrianus? Verstehst du, was ich meine? Es gibt da Brüche. Dinge, die nicht recht zusammenpassen.«
»Und was ziehst du daraus für Schlussfolgerungen?«
Örkenrud sah Nyström lange nachdenklich an.
»Ich habe den Eindruck, der Täter wird hektisch. So, als laufe ihm plötzlich die Zeit davon.«
»Vielleicht ist das der Fahndungsdruck«, sagte Nyström. »Möglicherweise spürt er, dass wir ihm schon auf den Fersen sind. Vielleicht dichter, als wir selbst es wissen.«
Örkenrud kaute wieder auf seiner Lippe.
»Vielleicht«, sagte er schließlich. »Da ist noch was, Ingrid. In Anderssons Haus gibt es Einbruchspuren, ein Kellerfenster wurde aufgehebelt. Danach hat man versucht, die Spuren zu vertuschen, aber sie sind für ein geschultes Auge ganz eindeutig.«
»Was ist daran ungewöhnlich? Dann wissen wir jetzt doch wenigstens, wie der Täter unbemerkt zu Andersson vordringen konnte.«
»Es ist nur so, dass der Einbrecher Handschuhe getragen hat. Die Abdrücke sind deutlich. Wer immer das war, dem war offensichtlich daran gelegen, keine individuellen Spuren zu hinterlassen, während Anderssons Mörder darauf überhaupt keine Rücksicht genommen hat. Abdrücke ohne Ende. Wie ich bereits sagte, der Tatort war ein Paradies für jeden Forensiker.«
»Mmh«, machte Nyström. »Das ist in der Tat ein wenig seltsam. Wieso lässt er seine anfängliche Vorsicht so unnötig schleifen und zieht seine Handschuhe aus? Vielleicht gerät er während seines Mordens in eine Art Rausch? Einen Blutrausch?«
»Vielleicht«, sagte Örkenrud.
5
Göran Lindholm verbrachte den Vormittag damit, Delgado und den beiden IT-Experten aus Jönköping zu assistieren und Datensätze in Masken einzutragen. Obwohl er im Allgemeinen relativ fit im Umgang mit Computern war, verstand er kaum etwas von dem, was er da eigentlich genau tat, und die drei Kollegen ließen keine Gelegenheit aus, seine Unerfahrenheit mit Frotzeleien und
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