Roulette der Liebe
die Augen«, sagte Reno heiser.
Eve warf ihm einen Seitenblick zu.
»Aha. Wieder die dunkle Samtstimme«, neckte sie. »Ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um mich aus dem Sattel zu zerren und zweifelhafte Dinge auf dem Rücken eines schlecht gelaunten Mustangs auszuprobieren?«
Reno warf den Kopf zurück und lachte fröhlich.
»Du bist wirklich eine Versuchung für einen Mann. Aber du hast recht, was Darlings Launen betrifft. Sie würde uns beide in den nächsten Geröllhaufen werfen. Also mach die Augen zu und öffne sie erst wieder, wenn ich es dir sage. Du bist sicher... im Moment jedenfalls.«
Lachend schloß Eve die Augen, weil sie wußte, ihr Pferd würde Darling auch ohne Führung folgen.
Für Minuten nahm Eve nur das leise Knarren des Leders wahr, den trägen Rhythmus ihrer Stute, die Sonnenwärme und den einzigartigen Duft von Salbei und Eiben, der die Luft durchdrang.
»Kann ich schon gucken?«
»Nein.«
»Sicher?« neckte sie.
»Ganz sicher.«
Eve hörte das Lächeln in Renos Stimme und hätte am liebsten hell aufgelacht vor Freude. Sie liebte den lockeren, neckenden Ton, der seit gestern zwischen ihnen herrschte. Sie liebte es, sich im Sattel umdrehen zu können und zu sehen, wie Reno sie mit Wärme anschaute und nicht mit Wut oder roher Begierde. Sie liebte es, die Heiterkeit in seiner Stimme zu hören und zu wissen, daß er es genoß, einfach nur mit ihr zusammenzusein. Sie liebte...
... Reno!
»Nicht gucken«, warnte er.
Reno zog Eve die Hutkrempe über die Augen und strich mit dem Handrücken sanft über ihr Kinn.
»Ich habe nicht geschummelt«, sagte sie leise. »Egal, was du denkst, ich bin keine Betrügerin von Natur aus.«
Reno fühlte ihren Schmerz, als wäre es sein eigener. Er beugte sich vor, hob Eve aus dem Sattel und setzte sie sich quer auf den Schoß, hielt sie wie ein Kind.
»Ruhig. Ich hatte keine Hintergedanken, als ich dir den Hut herunterzog, ich brauchte nur einen Vorwand, dich zu berühren.«
Eve kuschelte ihren Kopf an Renos Brust und schob dabei den Hut zur Seite. Er baumelte an den Kinnriemen, bis Reno ihn über ihre Schultern zurückschob und ihr Haar streichelte.
»Ich wollte dir nicht weh tun«, sagte er nach einer Weile.
Eve nickte.
»Eve?«
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich weiß, ich sollte nicht so empfindlich sein. Aber... ich bin es nun mal.«
Er hob ihr Gesicht zu sich empor und gab ihr einen zarten Kuß. Plötzlich verstärkte sich der Griff seiner Arme um sie, und er hielt sie dicht an sich gepreßt, als Darling vor dem Schatten eines Habichts scheute, der sich geräuschvoll in die Lüfte schwang.
»Nimm’s leicht, Dickkopf«, sagte Reno.
»Paß nur auf, wen du hier beschimpfst«, murmelte Eve.
Reno schwieg überrascht, aber dann lachte er und küßte Eve stürmisch, bevor er Darling vorwärtstrieb.
Wenige Minuten später zügelte er sein Pferd und küßte Eve zart auf beide Lider.
»Jetzt darfst du die Augen aufmachen.«
Eve öffnete die Augen und blickte Reno an. Mit sanftem Lächeln zeigte er auf die Aussicht. Eve drehte den Kopf.
Sie stieß einen verblüfften, ungläubigen Laut aus. Wenige Meter vor den Pferden fiel das Land abrupt in die Tiefe. In der Ferne sah man unzählige Reihen kleinerer Plateaus, die in einer Serie unregelmäßiger Stufen in die Höhe kletterten und sich schließlich zu einem gigantischen Felslabyrinth auflösten, das alle Schattierungen von Rot über Gold und Rosa bis hin zu Lila aufwies.
Statt tanzender Flüsse und Bäche gab es Säulen aus Stein, Klippen aus Stein, Tische aus Stein, Schlösser und Burgen aus Stein, Kathedralen und Triumphbögen aus Stein, riesige Wände und Schichttorten aus Stein, scharfe Grate und Täler aus Hügel und Stein, ein regenbogenfarbiges Labyrinth aus Stein auf Stein, bis Land und Himmel am Horizont zu einer purpurroten Einheit verschmolzen, so weit entfernt, daß man die Krümmung der Erdoberfläche wie das leise Herannahen der Nacht ahnen konnte.
Die Farbe der Wolken reichte von blendend hellem Weiß bis zu dunklem Indigoblau. Vereinzelte Gewitter durchquerten das Land auf Stelzen von Blitzen, zogen zerfetzte Regenschleier hinter sich her, und doch brachte der Wind keinen Duft von Regen zu ihnen. Das Labyrinth war so unermeßlich groß, daß Gewitter darüber hinwegzogen wie Sturmböen über ein unvorstellbares Meer.
»Ist das der Ort, wo wir hinreiten?« flüsterte Eve.
Reno betrachtete die Landschaft, wo sich die Knochen der Erde durch die dünne Haut des Lebens
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