Roulette des Herzens
Sohn ab, bis eine schickliche Distanz zwischen ihnen beiden lag.
Martha stellte das Tablett auf den runden, vor der Bank stehenden Tisch. Dann setzte sie sich in der Nahe in einen Sessel. »Warum schenken Sie nicht ein, Miss Sara?« forderte sie sie in einem Ton auf, der andeutete, dass sie einem bevorzugten Gast eine besondere Ehre erweise. Irgendwie hatte Sara jedoch das Gefühl, sie werde einer Probe unterzogen. Behutsam goss sie Tee in eine der zierlichen Tassen aus chinesischem Porzellan und fügte Milch und Zucker hinzu. Ihr Argwohn, sie werde auf die Probe gestellt, wurde durch Mrs. Kingswoods säuerlich zufriedene Miene bestätigt. »So mag mein Sohn den Tee nicht«, sagte Martha.
Fragend richtete Sara den Blick auf ihn. »Du nimmst doch Milch und Zucker, nicht wahr?«
Er zuckte leicht mit den Achseln. »Ja, aber…«
»Sie haben die Milch zum Schluss dazugegeben«, unterbrach Martha, ehe der Sohn Miss Fielding aufklären konnte.
»Er gießt sich erst die Milch ein und fügt dann den Tee hinzu. Im Geschmack macht das einen großen Unterschied.«
Sara glaubte, Mrs. Kingswood scherze, und schaute verdutzt deren Sohn an. Er lächelte hilflos. Sie rang sich dazu durch, gleichmütig mit den Schultern zu zucken. »Ich werde versuchen, Mrs. Kingswood, das nicht zu vergessen«, sagte sie mit leicht belustigt klingender Stimme. »Ich weiß nicht, warum mir das in all den Jahren nicht aufgefallen ist.«
»Vielleicht sollten Sie sich bemühen, aufmerksamer zu sein, was die Bedürfnisse meines Sohnes betrifft.« Martha war zufrieden, weil sie Miss Fielding soeben eine Lektion erteilt hatte. »Und erinnern Sie sich, dass auch ich den Tee auf diese Weise vorziehe, allerdings ohne Zucker.«
Gehorsam kam Sara Mrs. Kingswoods Anweisungen nach und lehnte sich dann mit ihrer Teetasse zurück. Sie hatte keine Milch genommen, aber mehr Zucker. Nach dem ersten Schluck begegnete sie Mrs. Kingswoods neugierigem Blick. Die ältere Dame presste die Lippen zusammen, bis sie nur noch ein schmaler Strich waren. »Ich nehme an, Sie sind zur Kirche gegangen, als Sie in London waren?«
Die Versuchung zu lügen war groß. Sara trank noch mehr Tee und schüttelte entschuldigend den Kopf. »Dazu war nicht die Zeit.«
»Dazu war nicht die Zeit?« wiederholte Martha verblüfft. ,,Hm! Ich bin heilfroh, dass Gott uns nicht mit solchen Entschuldigungen kommt, wenn wir Ihn mit unseren Gebeten bestürmen. So beschäftigt, wie Er ist, hat Er doch immer Zeit für uns. Ich meine, ein jeder von uns müsste gewillt sein, auch Zeit für Ihn zu haben.«
Sara nickte kläglich und dachte daran, dass Mm Kingswood regelmäßig zum Gottesdienst ging und den Ruf genoss, niemand überträfe sie in ihrer Frömmigkeit. Sie traf stets eine Viertelstunde zu früh in der Kirche ein und saß in der ersten Reihe. Sie hatte auch die Angewohnheit, fünfzehn Minuten zu warten, bis alle Gläubigen gegangen waren, und erst dann die Kirche zu verlassen. Sie glaubte, es sei ihre besondere Pflicht, Reverend Crawford mitzuteilen, wie er ihrer Meinung nach seine Predigten gehaltvoller gestalten könne. »Weder Perry noch ich habe je aus irgendeinem Grund den Sonntagsgottesdienst verpasst«, sagte sie. »Und auch mein Mann war zu seinen Lebzeiten regelmäßig In der Kirche. ›Ich wäre lieber Türhüter im Hause meines Gottes, statt in den Zelten der Verderbtheit zu weilen‹. Wissen Sie, woher dieses Zitat stammt, Miss Sara?«
»Job?« vermutete Sara.
»Psalmen«, antwortete Martha stirnrunzelnd. »Keine Frau, die Perrys Gattin werden möchte, würde je einen Gottesdienst versäumen, es sei denn, aus einem unvermeidbaren Anlass.«
Jod? Naturkatastrophen?« schlug Sara in unschuldigem Ton vor und spürte Mr. Kingswood mit dem Knie warnend an das ihre stoßen.
»Genau!« antwortete Martha.
Sara schwieg, Ihre Freude, bei Mr. Kingswood zu sein, schwand. Sie war hergekommen, um mit ihm zusammen zu sein, aber nicht, um sich aus dem Mund seiner Mutter eine Moralpredigt anhören zu müssen, ganz gleich, wie gutgemeint diese Lektion auch sein mochte. Warum ließ Mr. Kingswood das stets zu, ohne Einspruch zu erheben?
Er war selbstgefällig, und seine Mutter beherrschte jedes Treffen mit ihm. Sara ignorierte die aufkeimende Verstimmung und versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken: »Erzählen Sie mir bitte, was in meiner Abwesenheit in Greenwood Corners geschehen ist. Wie geht es dem gichtigen alten Mr. Dawson?«
»Viel besser«, antwortete
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