Rousseau's Bekenntnisse
ich unter einer mit Blüten bedeckten Akazie neben ihr auf einer Rasenbank sitzend eine der Gefühle meines Herzens, die ich aussprechen wollte, wahrhaft würdige Sprache fand. Es war das erste und einzige Mal in meinem Leben; aber ich war erhaben, wenn man das, was die zärtlichste und inbrünstigste Liebe Liebenswürdiges und Verführerisches in ein Männerherz legen kann, so nennen darf. Was für berauschende Thränen vergoß ich auf ihre Kniee! Wie viele entlockte ich ihr wider Willen! Endlich rief sie in einem unwillkürlichen Ausbruche von Seligkeit aus: »Nein, nie war ein Mann so liebenswürdig, und nie liebte ein Liebhaber wie Sie! Aber Ihr Freund Saint-Lambert hört uns, und mein Herz vermag nicht zweimal zu lieben!« Ich schwieg seufzend: ich umarmte sie ... welch eine Umarmung! Aber das war alles. Seit sechs Monaten lebte sie bereits allein, das heißt fern von ihrem Geliebten und Gatten, seit drei Monaten sah ich sie fast täglich, und stets bildete die Liebe die dritte in unserem Bunde. Wir hatten allein zusammen zu Nacht gespeist, wir hatten allein in einem Haine im Mondenscheine bei einander geweilt, und nach zwei Stunden der lebhaftesten und zärtlichsten Unterhaltung ging sie mitten in der Nacht aus diesem Haine und aus den Armen ihres Freundes eben so unberührt, eben so rein an Leib und an Seele hervor, als sie hineingetreten war. Leser, erwäge alle die Umstände, ich will nichts weiter hinzufügen.
Und wähne man nur nicht, daß mich hier meine Sinne ruhig ließen wie bei Therese und Mama. Diesmal war es, wie ich schon gesagt habe, Liebe und zwar Liebe mit, ihrer ganzen Gewalt und in ihrer ganzen Wuth. Ich will weder die Aufregungen, noch die Schauder, noch das Herzklopfen, noch die krampfhaften Bewegungen, noch die Ohnmacht des Herzens schildern, die ich beständig empfand; nach der Wirkung, die ihr bloses Bild auf mich ausübte, kann man sich ein Urtheil darüber bilden. Wie gesagt, war der Weg von der Eremitage nach Eaubonne weit; er führte durch die mit Wein bebauten Hügel von Andilly, die reizend sind. Im Wandern träumte ich von der, welcher mein Besuch galt, von der liebevollen Aufnahme, die sie mir bereiten würde, von dem Kusse, der meiner bei der Ankunft wartete. Dieser Kuß allein, dieser verhängnisvolle Kuß entflammte mein Blut bis zu dem Grade, daß mir der Kopf schwindelte, es mir vor den Augen schwarz wurde und meine zitternden Kniee mir fast den Dienst versagten. Ich war gezwungen Halt zu machen und mich zu setzen. Mein ganzer Körper war in einem unbegreiflichen Aufruhr; es fehlte nicht viel, so wäre ich ohnmächtig geworden. Von der Gefahr, die ich dadurch lief, unterrichtet, suchte ich mich beim Weiterschreiten zu zerstreuen und an anderes zu denken. Doch schon nach zwanzig Schritten bestürmten mich von neuem die nämlichen Gedanken und alle aus ihnen hervorgehenden Zustände, ohne daß es mir möglich gewesen wäre, mich von ihnen zu befreien, und wie ich es auch immer anstellen mochte, ich glaube nicht, daß ich, wenn ich allein war, je diesen Weg ungestraft habe machen können. Ich kam in Eaubonne an, schwach, erschöpft, abgemattet, mich kaum aufrecht erhaltend. Bei ihrem ersten Anblicke war alles wieder gut; an ihrer Seite fühlte ich nur die Belästigung einer unerschöpflichen und doch immer nutzlosen männlichen Kraft. Auf meinem Wege lag an einer Stelle, von der aus man Eaubonne schon erblickte, eine freundliche Terrasse der Berg Olymp genannt, an der wir bisweilen zusammentrafen. Ich langte zuerst an; ich war zum Warten wie geschaffen, und doch, wie schwer fiel mir dieses Warten! Um mich zu zerstreuen, versuchte ich mit Bleistift Billete zu schreiben, die ich am liebsten mit meinem Herzblute niedergeschrieben hätte. Ich habe nie ein lesbares zu Stande bringen können. Wenn sie eines derselben in dem dazu verabredeten Verstecke fand, konnte sie daraus nichts anderes als den wahrhaft beklagenswerthen Zustand ersehen, in dem ich mich beim Schreiben befand. Dieser Zustand und namentlich seine Dauer, da ich während dreier Monate in unausgesetzter Aufregung und Enthaltung lebte, versetzte mich in eine Erschöpfung, von der ich mich Jahre lang nicht erholen konnte, und die endlich eine Abnahme der Kräfte herbeiführte, die ich ins Grab oder die vielmehr mich ins Grab mitnehmen wird. Dieses ist der einzige Liebesgenuß des Mannes gewesen, der zwar das leicht entzündlichste aber zugleich auch das schüchternste Temperament hatte, das die Natur vielleicht je
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