Rousseau's Bekenntnisse
hervorgebracht hat. Das sind die letzten schönen Tage gewesen, die mir hienieden beschieden waren. Hier beginnt das lange Gewebe der Leiden meines Lebens, in dem man wenige Unterbrechungen wahrnehmen wird.
In dem ganzen Verlaufe meines Lebens hat man gesehen, daß mein Herz, durchsichtig wie Krystall, nie, auch nicht eine einzige Minute lang, ein etwas lebhafteres Gefühl, das sich in ihm regte, zu verhehlen verstanden hat. Sage man sich selbst, ob es mir möglich war, meine Liebe zu Frau von Houdetot lange zu verbergen. Unsere Vertraulichkeit fiel auf, wir suchten sie nicht zu verheimlichen. Bei ihrem Charakter hatte sie ein Geheimnis nicht nöthig, und da Frau von Houdetot die zärtlichste Freundschaft für mich hatte, die sie sich nicht zum Vorwurfe anrechnete, und da ich vor ihr eine wahre Hochachtung besaß, deren gerechten Grund niemand so gut als ich kannte, so gaben wir, sie offen, zerstreut, unbesonnen, ich aufrichtig, tölpelhaft, hochmüthig, ungeduldig, leidenschaftlich, uns in unserer trügerischen Sicherheit noch weit mehr Blößen, als wir, hätten wir uns schuldig gefühlt, gethan hätten. Wir gingen mit einander nach der Chevrette; wir trafen uns dort häufig und hatten daselbst mitunter sogar verabredete Zusammenkünfte. Wir führten dort unser gewohntes Leben, indem wir täglich allein mit einander spazieren gingen und dabei von der Liebe eines jeden von uns, von unseren Pflichten, von unserem Freunde und von unsern unschuldigen Plänen sprachen, und das thaten wir ganz offen im Park, nach dem die Fenster des Zimmers der Frau von Epinay hinausführten, aus denen sie nicht unterließ uns unaufhörlich zu beobachten; und in dem Wahne, daß wir es ihr nur zum Trotze thaten, erfüllte das, was ihre Augen erblickten, ihr Herz nur mit immer größerer Wuth und Entrüstung.
Die Frauen verstehen sämmtlich die Kunst, ihre Wuth zu verbergen, zumal wenn sie heftig ist; Frau von Epinay, die bei allem Ungestüm doch überlegend ist, besitzt diese Kunst namentlich in hervorragender Weise. Sie that, als sähe sie nichts und ahnte sie nichts, und während sie mir gegenüber ihre Aufmerksamkeiten und Höflichkeiten verdoppelte und mich scheinbar zu fesseln suchte, zeigte sie gegen ihre Schwägerin geflissentlich ein unhöfliches Benehmen und behandelte sie mit einer Verachtung, die sie auch mir schien einimpfen zu wollen. Es gelang ihr, wie man sich wohl denken kann, zwar nicht, aber ich lag wie auf der Folter. Von sich widerstreitenden Gefühlen zerrissen, während ich doch zugleich von ihren Zärtlichkeiten gerührt war, hatte ich Mühe meinen Zorn zurückzuhalten, wenn ich sah, wie verletzend sie gegen Frau von Houdetot war. Die engelgleiche Sanftmuth derselben ließ sie alles ohne Klage erdulden und sogar ohne sich empfindlich zu zeigen. Überdies war sie oft so zerstreut und für dergleichen so wenig empfänglich, daß sie es meistentheils gar nicht merkte.
Ich war von meiner Leidenschaft so in Anspruch genommen, daß ich nur Sophie sah, (dies war einer der Namen der Frau von Houdetot) und deshalb nicht einmal merkte, daß ich das Gespött des ganzen Hauses und seiner Besucher geworden war. Zur Zahl der letzteren gehörte der Baron von Holbach, der, so viel ich weiß, vorher nie nach der Chevrette gekommen war. Wäre ich damals so mißtrauisch gewesen, wie ich es später geworden bin, so würde der Verdacht in mir aufgestiegen sein, daß Frau von Epinay diese Reise veranstaltet hätte, um ihm das ergötzliche Schauspiel des verliebten Bürgers vorzuführen. Allein ich war damals so dumm, daß ich nicht einmal sah, was aller Welt offen vor Augen lag. Gleichwohl hielt mich alle meine Dummheit nicht von der Wahrnehmung zurück, daß des Barons Miene zufriedener und heiterer war als sonst. Statt mich nach seiner Gewohnheit düster anzublicken, überflutete er mich mit mir völlig unverständlichen spöttischen Redensarten. Ich riß die Augen weit auf, ohne etwas zu erwidern; Frau von Epinay hielt sich die Seiten vor Lachen; ich begriff nicht, was mit ihnen vorgegangen war. Da noch nichts die Grenzen des Scherzes überschritt, so hätte ich mich ruhig zur Zielscheibe hergeben sollen. Aber allerdings sah man durch die spöttische Heiterkeit des Barons eine boshafte Freude hindurchleuchten, die mich vielleicht beunruhigt haben würde, hätte ich sie schon damals eben so gut bemerkt, wie ich mich ihrer in der Folge erinnerte.
Als ich eines Tages Frau von Houdetot, die wieder einmal von Paris zurückgekehrt war,
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