Rousseau's Bekenntnisse
in Eaubonne besuchte, fand ich sie traurig und bemerkte, daß sie geweint hatte. Ich mußte mich beherrschen, weil Frau von Blainville, die Schwester ihres Gatten, zugegen war, sobald sich jedoch ein günstiger Augenblick darbot, sprach ich ihr meine Unruhe aus. »Ach,« sagte sie seufzend zu mir, »ich befürchte sehr, daß mich Ihre Thorheiten die Ruhe meines Lebens kosten. Saint-Lambert ist unterrichtet und übel berichtet. Er läßt mir Gerechtigkeit widerfahren, ist aber in höchst verdrießlicher Stimmung und sagt mir, was noch schlimmer ist, nicht alles was sie hervorgerufen hat. Zum Glück habe ich ihm von unserm Verhältnisse, das auf seinen eigenen Antrieb angeknüpft ist, nichts verschwiegen. Meine Briefe waren eben so voll von Ihnen wie mein Herz: nur Ihre unsinnige Liebe, von der ich Sie zu heilen hoffte und die er mir, ohne mit mir davon zu reden, dennoch, wie ich recht gut merke, als Verbrechen anrechnet, habe ich ihm verheimlicht. Man hat ihn gegen uns aufgehetzt, man hat mir Unrecht gethan, aber es hat nichts zu sagen. Lassen Sie uns entweder völlig mit einander brechen, oder benehmen Sie sich, wie man von Ihnen verlangen kann. Ich will meinem Geliebten nichts mehr zu verbergen haben.«
Dies war der erste Augenblick, wo mich die Scham überkam, mich durch das Bewußtsein meines Vergehens vor einer jungen Frau, deren Vorwürfe ich mit Recht verdiente und deren Mentor ich hätte sein sollen, gedemüthigt zu sehen. Der Unwille, den ich gegen mich selbst empfand, hätte vielleicht zur Ueberwindung meiner Schwäche genügt, wenn nicht wieder das zärtliche Mitleid, welches mir das Opfer derselben einflößte, mein Herz erweicht hätte. Ach, war das der Augenblick, es verhärten zu können, während es die Thränen von allen Seiten bis in seine Tiefe durchdrangen? Diese Rührung verwandelte sich bald in Zorn wider die feilen Angeber, die nur das Böse eines verbrecherischen, wenn auch unwillkürlichen, Gefühls bemerkt hatten, ohne sich auch nur die aufrichtige Ehrlichkeit des Herzens, die das Böse vernichtete, denken und vorstellen zu können. Wir blieben über die Hand, von welcher der Schlag ausging, nicht lange in Zweifel.
Wir wußten beide, daß Frau von Epinay mit Saint-Lambert in brieflichem Verkehre stand. Es war nicht der erste Sturm, den sie gegen Frau von Houdetot erregt hatte. Tausendmal hatte sie sich schon bemüht, ihn von ihr loszureißen, und die Erfolge einiger dieser Anstrengungen erfüllten Frau von Houdetot mit Furcht vor den weiteren. Außerdem befand sich Grimm, der, wie ich glaube, Herrn von Castries zur Armee begleitet hatte, eben so wie Saint-Lambert in Westphalen; sie sahen sich mitunter. Grimm hatte bei Frau von Houdetot einige erfolglose Versuche gemacht. Sehr beleidigt hörte er deshalb ganz auf, sie zu besuchen. Man denke sich die Kaltblütigkeit, mit der er sich bei seiner bekannten Bescheidenheit zur Annahme berechtigt glaubte, daß sie einen älteren Mann vor ihm auszeichne, einen Mann, von dem er, Grimm, seit seinem Verkehre mit den Großen nur wie von seinem Schützlinge sprach!
Mein Verdacht gegen Frau von Epinay ging in Gewißheit über, als ich erfuhr, was bei mir zu Hause vorgefallen war. Wenn ich auf der Chevrette war, kam Therese häufig dahin, sei es um mir meine Briefe zu bringen oder mir bei meiner schlechten Gesundheit die nöthige Pflege angedeihen zu lassen. Frau von Epinay hatte sie gefragt, ob wir uns nicht schrieben, Frau von Houdetot und ich. Auf ihr Eingeständnis drang Frau von Epinay in sie, ihr Frau von Houdetots Briefe zu übergeben, indem sie sie so gut wieder zu versiegeln versprach, daß es niemand gewahren könnte. Ohne zu zeigen, wie sehr dieses Ansinnen sie verletzte, und sogar ohne mir davon Mittheilung zu machen, begnügte sich Therese damit, die Briefe, welche sie mir brachte, noch sorgfältiger zu verbergen, eine sehr glückliche Vorsicht, denn Frau von Epinay ließ sie bei ihrer Ankunft überwachen, erwartete sie sogar persönlich einige Male am Wege und trieb die Kühnheit so weit, ihr Busentuch zu durchsuchen. Sie that noch mehr; als sie sich eines Tages mit Herrn von Margency zum Mittagessen auf die Eremitage eingeladen hatte, zum ersten Male, seitdem ich daselbst wohnte, benutzte sie die Zeit, in der ich mit Margency spazieren ging, um mit Mutter und Tochter in mein Arbeitszimmer zu gehen und sie zu bestürmen, ihr die Briefe der Frau von Houdetot zu zeigen. Hätte die Mutter gewußt, wo sie sich befanden, so wären die Briefe
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