Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
und hauptsächlich die großen Damen lediglich unterhalten sein wollen, daß man sie eher beleidigen als langweilen darf, und aus ihren Bemerkungen über das Gespräch der eben Gegangenen schloß ich, was sie über meine Tölpeleien denken mußte. Ich verfiel auf ein Hilfsmittel, um mich vor der Verlegenheit zu retten, bei ihr zu reden; es bestand darin vorzulesen. Sie hatte von der »Julie« sprechen hören; sie wußte, daß man sie druckte; sie verrieth Lust, dieses Werk zu sehen; ich erbot mich, ihr es vorzulesen, und sie nahm es an. Alle Morgen begab ich mich um zehn Uhr zu ihr. Herr von Luxembourg erschien gleichfalls: man schloß die Thür. Ich las neben ihrem Bette, und ich maß meine Vorlesungen so richtig ab, daß der Stoff für die ganze Dauer ihres dortigen Aufenthalts ausgereicht hätte, auch wenn keine Unterbrechung [Fußnote: Der Verlust einer großen Schlacht, der den König tief schmerzte, zwang Herrn von Luxembourg, schleunigst an den Hof zurückzukehren.] eingetreten wäre. Der Erfolg dieses Auskunftsmittels überstieg meine Erwartung. Frau von Luxembourg wurde von der »Julie« wie von ihrem Verfasser völlig eingenommen. Sie sprach nur von mir, beschäftigte sich nur mit mir, sagte mir den ganzen Tag Schmeicheleien, umarmte mich den Tag über zehnmal. Sie verlangte, daß ich bei Tische meinen Platz stets an ihrer Seite hatte, und wenn ein vornehmer Herr diesen Platz einnehmen wollte, erklärte sie ihm, daß es der meinige wäre, und ließ ihn anderswo Platz nehmen. Man kann sich den Eindruck vorstellen, den dieses reizende Benehmen auf mich, den das geringste Zeichen von Zuneigung unterwirft, ausübte. Nach dem Grade der Zuneigung, die sie mir bezeigte, schenkte ich ihr die meinige in Wirklichkeit. Meine ganze Furcht bei der Wahrnehmung dieser Schwärmerei war, daß sie sich bei der Unzulänglichkeit meines Geistes, sie lebendig zu erhalten, in Widerwillen verwandeln würde, und zum Unglücke für mich war diese Furcht nur zu sehr gegründet.
    Es mußte zwischen ihrer Geistesart und der meinigen einen natürlichen Gegensatz geben, da sich, ganz abgesehen von den vielen Tölpeleien, die mir jeden Augenblick im Gespräche und sogar in meinen Briefen, während ich auf dem besten Fuße mit ihr stand, entschlüpften, Dinge fanden, die ihr mißfielen, ohne daß ich mir vorstellen konnte weshalb. Ich will nur ein Beispiel anführen, könnte aber zwanzig erzählen. Sie wußte, daß ich für Frau von Houdetot eine Abschrift der »Heloise« gegen eine bestimmte Bezahlung nach der Seitenzahl anfertigte. Sie verlangte eine unter denselben Bedingungen zu erhalten. Ich versprach sie ihr, und indem ich sie dadurch in die Zahl meiner Kundinnen einreihete, schrieb ich ihr darüber einige verbindliche und höfliche Worte, wenigstens war dies meine Absicht. Ihre Antwort, die mich aus den Wolken stürzte, lautete folgendermaßen (Heft C, Nr. 43):
    »Ich bin entzückt, ich bin zufrieden; Ihr Brief hat mir unendliches Vergnügen bereitet, und ich beeile mich, es Ihnen zu schreiben und dafür zu danken.
    »Sie schreiben in Ihrem Briefe wörtlich: ›Obgleich Sie sicherlich eine sehr gute Kundin sind, fällt es mir doch schwer, von Ihnen Geld zu nehmen; eigentlich käme es mir zu, das Vergnügen zu bezahlen, für Sie zu arbeiten.‹ Darüber sage ich nichts weiter zu Ihnen. Ich beklage nur den Umstand, daß Sie mir nie von Ihrer Gesundheit erzählen. An nichts nehme ich mehr Antheil. Ich liebe Sie von ganzem Herzen und ich schreibe es Ihnen, wie ich Sie versichern kann, zu meinem großen Leidwesen, denn es würde mir viel Vergnügen bereiten, es Ihnen selbst sagen zu können. Herr von Luxembourg liebt und umarmt Sie von ganzem Herzen.«
    Nach Empfang dieses Briefes beeilte ich mich bis zu einer ausführlichen Erörterung, um mich gegen jede unhöfliche Auslegung zu verwahren, darauf zu antworten, und nachdem ich mich einige Tage in einer leicht erklärlichen Unruhe mit dieser Erörterung beschäftigt hatte, ohne jedoch von der Sache je etwas zu begreifen, sandte ich endlich in Betreff dieser Angelegenheit folgende Antwort ab:
    Montmorency, den 8. December 1750.
    »Seit meinem letzten Briefe habe ich die fragliche Stelle hundert und aber hundert Mal erwogen. Ich habe sie nach ihrem eigentlichen und natürlichen Sinne, wie nach jedem Sinne, den man ihr geben kann, überlegt, und ich gestehe Ihnen, Frau Marschall, daß ich nicht mehr weiß, ob ich mich gegen Sie entschuldigen muß, oder Sie nicht vielmehr gegen

Weitere Kostenlose Bücher