Rousseau's Bekenntnisse
schließlich langweilte. Da sie mir jedoch den Vorwurf machte, daß ich mich durch meine Verleger anführen ließe, verlangte sie, ich sollte, um einen größeren Nutzen daraus zu ziehen, ihr die Besorgung eines Herausgebers überlassen. Ich gab dazu unter der ausdrücklichen Bedingung meine Einwilligung, daß das Werk nicht in Frankreich gedruckt würde, worüber wir einen langen Streit hatten, indem ich behauptete, daß die stillschweigende Erlaubnis unmöglich zu erlangen, ja auch unklug zu verlangen wäre, und ich ohne sie den Druck im Umfange des Königreichs nicht gestatten wollte, während sie beharrlich versicherte, daß es bei dem Verfahren, welches die Regierung angenommen hätte, nicht einmal eine Schwierigkeit bei der Censur geben würde. Sie verstand es dahin zu bringen, daß Herr von Malesherbes auf ihre Ansichten einging. Er schrieb mir darüber eigenhändig einen langen Brief, um mir zu beweisen, daß das »Glaubensbekenntnis des Savoyischen Vikars« ganz dazu geeignet wäre, überall den Beifall des menschlichen Geschlechtes und bei der jetzt herrschenden Richtung auch den des Hofes zu erlangen. Ich war überrascht, diesen sonst so zaghaft auftretenden Beamten in dieser Angelegenheit so willfährig werden zu sehen. Da der Druck eines Buches, zu dem er die Genehmigung gab, schon dadurch allein gesetzlich wurde, so hatte ich eigentlich keinen gegründeten Einwand mehr zu machen. Allein in Folge eines besondern Bedenkens verlangte ich beharrlich, daß das Werk in Holland und sogar durch Vermittelung des Verlagsbuchhändlers Réaulme gedruckt würde, den ich nicht nur ausdrücklich nannte, sondern auch davon in Kenntnis setzte, obgleich ich im Uebrigen damit einverstanden war, daß die Herausgabe zum Vortheil eines französischen Buchhändlers geschähe und man das Werk nach Vollendung des Druckes in Paris oder sonst wo in Verlag gäbe, weil dieser mich nichts anginge. Das ist die getreue Darstellung meines Uebereinkommens mit Frau von Luxembourg, nach welchem ich ihr das Manuscript einhändigte.
Bei diesem Sommeraufenthalte hatte ich ihre Enkelin, Fräulein von Boufflers, die jetzige Herzogin von Lauzun, mitgebracht. Sie hieß Amalie. Es war eine reizende Person. Ihr Aeußeres, ihre Sanftmuth und Schüchternheit war wahrhaft jungfräulich. Nichts war liebenswürdiger und fesselnder als ihr Gesicht, nichts zärtlicher und keuscher als die Gefühle, welche sie einflößte. Im Uebrigen war sie ein Kind; sie war noch nicht elf Jahre alt. Die Frau Marschall, die sie zu schüchtern fand, bemühte sich, sie lebhafter zu machen. Sie gestattete mir mehrere Male, ihr einen Kuß zu geben, was ich mit meiner gewöhnlichen Ungeschicklichkeit that. Statt der Artigkeiten, die ihr ein anderer an meiner Stelle gesagt hätte, blieb ich stumm und verlegen und ich weiß nicht, wer am verschämtesten war, die arme Kleine oder ich. Eines Tages traf ich sie allein auf der Treppe des kleinen Schlosses; sie kam von einem Besuche bei Therese, bei der sich ihre Gouvernante noch aufhielt. Da ich nicht wußte, was ich zu ihr sagen sollte, bat ich sie um einen Kuß, den sie mir in der Unschuld ihres Herzens nicht verweigerte, da sie mich schon an demselben Morgen auf Befehl und in Gegenwart ihrer Großmutter geküßt hatte. Als ich am folgenden Morgen am Bette der Frau Marschall aus dem »Emil« vorlas, stieß ich gerade auf eine Stelle, wo ich mich mit vollem Rechte über das, was ich am Tage vorher gethan hatte, tadelnd ausspreche. Sie fand den Gedanken sehr richtig und knüpfte eine sehr verständige Bemerkung daran, über die ich erröthen mußte. Wie verwünschte ich diese unglaubliche Albernheit, die mich so oft hat schuldig erscheinen lassen, wenn ich nur einfältig und verlegen war, eine Albernheit, die man bei einem Manne, von dem man weiß, daß er nicht ohne Geist ist, noch dazu nur für eine falsche Entschuldigung nimmt! Ich kann beschwören, daß bei diesem so tadelnswerthen Kusse wie bei allen andern Fräulein Amaliens Herz und Sinne nicht reiner waren als die meinen; und ich kann sogar beschwören: hätte ich in jenem Augenblicke dem Zusammentreffen mit ihr aus dem Wege gehen können, würde ich es gethan haben, nicht weil es mir nicht große Freude machte, sie zu sehen, sondern aus Verlegenheit, irgend eine Artigkeit zu finden, die ich ihr hätte sagen können. Wie ist es möglich, daß ein bloses Kind einen Mann einschüchtert, dem die Macht der Könige nicht Furcht eingejagt hat? Was thun, wie sich benehmen, wenn
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