Rousseau's Bekenntnisse
berührte mich desto empfindlicher, weil sie von einem Manne herrührte, vor dem ich stets Hochachtung gehegt, und dessen Beständigkeit ich bewunderte, während ich seine Verblendung bedauerte. Ich rede von dem Erlaß des Erzbischofs von Paris wider mich.
Ich glaubte es mir schuldig zu sein, darauf zu antworten. Ich konnte es, ohne mich zu erniedrigen; es war ein Fall, der dem mit dem Könige von Polen ungefähr ähnlich war. Ich habe rohe Zänkereien nach Voltaire'scher Manier nie geliebt. Ich verstehe mich nur mit Würde zu schlagen und verlange, wenn ich mich zur Vertheidigung herablassen soll, daß mein Angreifer meine Schläge nicht ehrlos macht. Ich zweifelte nicht, daß dieser Erlaß ein Machwerk der Jesuiten wäre, und obgleich sie damals selbst unglücklich waren, erkannte ich doch darin ihren alten Grundsatz, die Unglücklichen zu vernichten. Ich konnte demnach auch meinem alten Grundsatz treu bleiben, den vorgeschützten Verfasser zu ehren und das Werk zu zermalmen; und das glaube ich mit ziemlichem Erfolge gethan zu haben.
Ich fand den Aufenthalt in Motiers sehr angenehm und um mich zu dem Entschluß zu bringen, dort meine Lebenstage zu beschließen, fehlte mir nur ein sicherer Unterhalt; aber man lebt dort ziemlich theuer, und ich hatte durch die Auflösung meines Haushalts, durch die Einrichtung eines neuen, durch den Verkauf oder die Vertheilung aller meiner Möbel und durch die Ausgaben, die ich seit meiner Abreise von Montmorency hatte machen müssen, alle meine alten Pläne dahinsinken sehen. Ich sah das kleine Kapital, das ich in Händen hatte, sich täglich vermindern. Zwei oder drei Jahre genügten, den Rest zu verzehren, ohne daß ich ein Mittel, es zu erneuern, sah, wenn ich mich nicht wieder auf die Schriftstellerei, dieses verhängnisvolle Handwerk, dem ich bereits entsagt hatte, verlegen wollte.
Ueberzeugt, daß in meinen Verhältnissen bald ein Umschlag eintreten müßte, und daß das Publikum, von seiner Tollheit zurückgekommen, die Regierungen zum Erröthen über ihre eigene bringen würde, suchte ich meine Hilfsquellen nur bis zu dieser glücklichen Wendung zu verlängern, die mir unter den sich darbietenden Mitteln eine freiere Wahl gestattete. Deshalb nahm ich mein »Musikalisches Wörterbuch« wieder vor, welches eine zehnjährige Arbeit schon weit gefördert hatte; ich brauchte nur die letzte Hand anzulegen und es dann noch ins Reine zu schreiben. Meine Bücher, welche mir vor kurzem nachgesandt waren, setzten mich in den Stand, dieses Werk zu vollenden. Meine Papiere, die gleichzeitig angelangt waren, ermöglichten mir den Beginn meiner Denkwürdigkeiten, mit denen ich mich künftighin einzig und allein beschäftigen wollte. Ich fing damit an, die Briefe in eine Sammlung einzutragen, die meinem Gedächtnisse bei der Feststellung der Reihenfolge der Thatsachen und Zeiten behilflich sein konnte. Ich hatte die Sichtung derer, die ich zu diesem Zwecke aufheben wollte, bereits vorgenommen, und ihre Reihe war während beinahe zehn Jahre nirgends unterbrochen. Bei ihrer Ordnung behufs der Abschrift fand ich indessen eine Lücke, die mich überraschte. Sie umfaßte beinahe sechs Monate, nämlich vom October 1756 bis zum folgenden März. Ich erinnerte mich genau, unter die gesichteten Papiere eine Anzahl Briefe von Diderot, von Deleyre, von Frau von Epinay, von Frau von Chenonceaux u.s.w. aufgenommen zu haben, welche diese Lücke ausfüllten und sich nicht mehr vorfanden. Was war aus ihnen geworden? Hatte jemand während der wenigen Monate, die meine Papiere in dem Hotel Luxembourg geblieben waren, Hand an sie gelegt? Das ließ sich nicht annehmen; ich hatte selbst gesehen, daß der Herr Marschall den Schlüssel zu dem Zimmer, in das ich sie gelegt, an sich genommen hatte. Da mehrere Briefe von Frauen und Diderots sämmtliche ohne Datum waren und ich mich gezwungen gesehen hatte, diese Data aus dem Gedächtnis und nur ungewiß nachzuholen, um die Reihenfolge dieser Briefe zu ordnen, so glaubte ich mich anfangs in der Zeitangabe geirrt zu haben und musterte alle Briefe, die kein Datum hatten oder auf denen ich es erst ergänzt hatte, um zu sehen, ob ich unter ihnen nicht die auffinden würde, welche diese Lücke ausfüllen mußten. Dieser Versuch war erfolglos; ich sah, daß es sich hier wirklich um eine Lücke handelte und die Briefe unstreitig genommen waren. Von wem und weshalb? Das war mir unfaßbar. Diese Briefe, die meinen großen Streitigkeiten vorausgingen und aus der Zeit meiner
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